Lebensart: «Stadt, Land, Speckgürtel»

von Sandra Lobnig

SPECKGÜRTEL IST NICHT „LAND“
Bevor man diese Frage beantworten kann, muss man „Land“ definieren. Meist sind darunter nicht dünn besiedelte Gegenden gemeint, sondern der suburbane Raum. Wer „ins Grüne“ zieht, wohnt fortan im Einfamilienhaus mit Garten, nicht allzu weit weg von der Stadt. „Wo sich zwei Gartenzäune treffen, hat das aber nichts mit Land zu tun, obwohl das viele Menschen glauben“, sagt Gernot Wagner, Klimaökonom an der Columbia Business School in New York. Der in Amstetten aufgewachsene Wissenschaftler unterscheidet drei Regionen: Stadt, Land – wo wenige Menschen leben, weit entfernt von Städten und strukturierten Räumen – und den suburbanen Raum. Letzterer wächst weltweit enorm und das nicht bloß im unmittelbaren Umfeld von Großstädten. Einfamilienhaussiedlungen entstehen auch im ländlichen Raum und bringen dort Probleme wie Zersiedelung und Bodenversiegelungen mit sich.

DICHTE UND EFFIZIENZ
Der US-amerikanische Ökonom Edward Glaeser hat die CO2-Emissionen amerikanischer Städte mit jenen in den Suburbs verglichen und festgestellt, dass der Unterschied beträchtlich ist. Jede*r Bewohner*in von New York City verursachte zum Zeitpunkt der Datenerhebung beispielsweise durchschnittlich rund sechs Tonnen weniger CO2 als eine Person im Vorort. Auch wenn amerikanische Verhältnisse nicht direkt auf Europa umzulegen sind, ist die Dynamik ähnlich: Das Leben in der Einfamilienhaussiedlung im Speckgürtel schneidet im Vergleich zur Stadt schlecht ab. Aus diesen Gründen haben sich Klimaökonom Gernot Wagner und seine Frau für das urbane Leben entschieden. Mit ihren beiden Kindern leben sie auf 70 Quadratmetern in Manhattan. Alles, was sie brauchen, befindet sich in Geh- oder Fahrraddistanz oder ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln unkompliziert zu erreichen. Und das ist es, was Stadt ausmacht: Dichte und Effizienz. Diese beiden Eigenschaften des städtischen Lebens führen zu einem deutlich niedrigeren CO2-Ausstoß, sagt Wagner.

PARALLELKONSUM NICHT VERGESSEN
Interessant ist, dass in den Städten die Einkommen zwar höher sind – und höhere Einkommen eigentlich den Lebensstandard und damit auch CO2-Emissionen nach oben schrauben –, die Stadt aufgrund ihrer Dichte und Effizienz aber relativ CO2-arm ist, sagt Gernot Wagner. Anders als suburbane Regionen, wo höhere Einkommen zu noch größeren Häusern, besserer Ausstattung und mehr Autos führen. Und am Land? Dort sind sowohl Dichte als auch Einkommen niedrig und die Ökobilanz ist um einiges besser als in suburbanen Räumen.

STADT ATTRAKTIVER MACHEN
Für die Stadt gilt: Damit sie als attraktiver Lebensraum anziehend ist, sind viele Bemühungen notwendig. Vom Ausbau des Radverkehrsnetzes, über Subventionen für die Renovierung der Altbauwohnung bis zur Schaffung von Grünflächen: Letztlich bleibt es eine persönliche Entscheidung, für welche Lebensweise man sich zum Beispiel als junge Familie entscheidet – die aber nicht im luftleeren Raum getroffen wird. „Gesellschaftliche Normen sind hier sehr stark“, sagt Gernot Wagner. Diese gelte es zu hinterfragen. Als Familie ins Einfamilienhaus ziehen, weil man das eben so macht? Lieber überlegen, ob es dafür gangbare Alternativen gibt. Für Klimaökonom Gernot Wagner ist die Sache jedenfalls klar: Aus Klimaschutzsicht ist allein das Leben in der Stadt zukunftsträchtig.

Zitiert in: «Stadt, Land, Speckgürtel» von Sandra Lobnig, Lebensart “Stadt, Land, Leben”: 8-13 (3/2024).

Buch: Stadt Land Klima (Brandstätter, 2021).

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