Die Presse: “Der Klimawandel, das perfekte Problem”

Gespräch mit Judith Hecht

Publiziert in Die Presse:

von Judith Hecht

Mitte der 1970er-Jahre wussten wir schon, dass wir CO2-Emissionen radikal reduzieren müssen. Die erste wissenschaftliche Studie zum Thema Klimaökonomie veröffentlichte William Nordhaus bereits 1975. Darin beschrieb er, weshalb der hohe CO2-Ausstoß ein Problem sei und welche Folgen er haben werde. Den Wirtschaftsnobelpreis bekommt der US-Forscher gemeinsam mit Paul Romer jedoch erst 43 Jahre später verliehen. Wir schreiben 2018 und die hohen CO2-Emissionen sind nach wie vor der größte Treiber für die globale Erwärmung.

Auch der Weltklimarat IPCC hat seinen ersten alarmierenden Bericht schon 1990 publiziert. Anfang der Woche veröffentlichte er seinen jüngsten, in dem er erneut zu raschem Handeln drängt. Ohne radikale Gegenmaßnahmen werde das Ziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, nicht erreicht werden, ist das Fazit des 400-Seiten Werks. Doch dieses Ziel sei wichtig, so würde beispielsweise eine Temperaturerhöhung um nur 0,5 Grad dafür sorgen, dass der Meeresspiegel um zehn Zentimeter in die Höhe klettert – was für stark besiedelte Küstenregionen dramatische Auswirkungen wie etwa die Versalzung des Grundwassers hat.

Vier Faktoren in Kombination. Dass nicht schon längst viel mehr geschehen ist, sei ernüchternd, sagt Gernot Wagner, „aber Pessimismus ist keine Option“. Der austro-amerikanische Klimaökonom studierte an der Harvard und Stanford University. Seit 2016 lehrt er in Harvard Solar Engineering. „Es zeigt sich, dass der Klimawandel das perfekte Problem ist. Ich kenne kein anderes, das so global, so langfristig, so ungewiss und auch so irreversibel ist. Die Kombination dieser vier Faktoren macht den Klimawandel zu einer nie dagewesenen Aufgabe.“

Das heißt – leider: Sie ist kaum zu lösen, sagt Wagner: „Wir müssten unser Weltwirtschaftssystem nämlich insgesamt und gänzlich umstellen. Aber wie wir wissen, schaffen wir es nicht, uns auf globale Lösungsansätze zu einigen. Das heißt nicht, dass es nicht viele gäbe, die wir, die Politik und die Wirtschaft anwenden könnten.“

Kapitalismus versus Sozialismus. Einer davon lautet: Der Preis für CO2 müsste weltweit hoch sein. „Eine Tonne, die Sie und ich ausstoßen, müsste uns nicht zehn, nicht vierzig, sondern weit über hundert Euro kosten“, sagt der Wissenschaftler. Eine solche Maßnahme wäre effektiv, würde sie doch jeder Europäer in der Haushaltkasse spüren, und ein US-Amerikaner noch viel mehr. Im Durchschnitt emittiert nämlich jeder Europäer zehn Tonnen CO2 und jeder US-Bürger mindestens zweimal soviel pro Jahr. „Und jede dieser Tonnen verursacht Schäden und für die müsste jeder von uns persönlich aufkommen, und zwar nicht auf freiwilliger Basis, sondern zwingend“, sagt Wagner.

Jeder soll sein Reiseziel mit dem Flugzeug erreichen können. Doch wer fliegt, sollte nicht nur das Ticket bezahlen, sondern das, was er der Umwelt damit antut. Das wäre laut dem gebürtigen Amstettener die Lösung gewesen, hätte man sich nur schon vor vielen Jahren dazu durchgerungen. Doch wann immer er diesen Ansatz diskutiere, werde von seinem Gesprächspartner sofort der Kapitalismus gegen den Sozialismus ins Rennen geschickt. Auf den ersten Blick sei das irreführend, aber eigentlich ginge es genau um diese beiden Ideologien: „Wer fliegt, hat einen individuellen Vorteil, den er sich internalisiert. Er ist rasch dort, wo er hin will. Da herrscht Kapitalismus. Aber bei den Nachteilen herrscht Sozialismus, die CO2-Emissionen treffen nämlich alle. Die Bevölkerung zahlt den Preis für die Annehmlichkeiten des einzelnen. Das müsste sich ändern, die Kosten der Nachteile des CO2-Ausstoßes gehören privatisiert.“

Doch das ist nicht das einzige „naive Wunschszenario“, das der Harvard-Lehrer herbeisehnt. Eine radikale Innovationspolitik sei notwendig. Denn es gebe einerseits genug Technologien, um erneuerbare Energie zu produzieren. Andererseits fehlten die Mitteln, um sie rasch zur Anwendung zu bringen. Und günstige Batterien mit genügend Speicherkapazität gibt es noch keine am Markt: „Es muss noch viel mehr in Forschung investiert werden. Davon wird abhängen, ob sich etwa E-Autos noch viel stärker durchsetzen.“

Die Bereitschaft, den Klimawandel zu bekämpfen, wäre eine andere, wenn die negativen Folgen genau datierbar wären. Die zeitliche Ungewissheit sei ein Grund, der das Klima-Problem unlösbar macht, ist Wagner überzeugt. „Wüssten wir, dass am 1. Jänner 2028 alle Gletscher geschmolzen sein werden, würden wir uns sicher darauf einstellen, selbst wenn die Anpassung dramatische Veränderungen bedürfte.“ So aber hat die Politik die Möglichkeit, Maßnahmen zu verzögern, und zwar immer mit demselben – banalen – Argument: Da niemand Genaues weiß, ist die Zeit für Entscheidungen nicht reif. So wird selbst Nichtstun zur Strategie.

Es ist kein Zufall, dass die Schwedische Akademie 2018 ausgerechnet die beiden Forscher Nordhaus und Romer mit dem Nobelpreis auszeichnet. Nordhaus bekommt ihn für seine Arbeiten zum Klimawandel und Romer für jene zur technologischen Innovation. Ohne die beiden würde der diesjährige Weltklimareport anders aussehen, sagt Wagner: „Die zwei identifizieren das Problem und zeigen auf, was wir machen müssen, um das Klimaschiff umzudrehen“. Doch die Zweifel in seiner Stimme sind nicht zu überhören.

Steckbrief
Gernot Wagner
wurde 1980 in Amstetten geboren. Seit 2016 unterrichtet und forscht der Ökonom an der Harvard University.

Zahlreiche Bücher
hat Wagner geschrieben. „Klimaschock“ wurde zum Wissenschaftsbuch des Jahres 2017 gekürt. Co-Autor war Martin L. Weitzman.

(“Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.10.2018)

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