Kleine Zeitung: “Hausbau im Speckgürtel? ‘Das geht nicht mehr'”

Gespräch mit Georg Renner


Herr Wagner, Sie forschen zu wirtschaftlichen Fragen und den schwierigen Fragen rund um die Klimakatastrophe. Wie schlimm wird es?
GERNOT WAGNER: Die richtige Frage ist: Wie schlimm ist es schon? Seen vertrocknen, Waldbrände nehmen zu, ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt jetzt seit Wochen in unerträglichen Temperaturen. Die Katastrophe ist schon da.

Ich lebe wie fast die Hälfte der Österreicher in einem Einfamilienhaus, noch dazu im Speckgürtel einer Großstadt. Kann man diesen Lebensstil angesichts der Entwicklungen noch verantworten?
Es gibt in Österreich schon jetzt so viele Einfamilien- und Zweifamilienhäuser, dass jeder zu viert in so einem Haus leben könnte – und trotzdem bauen wir immer noch mehr dazu; täglich die Fläche eines Bauernhofs, in zehn Jahren die Größe Wiens. Wir wissen, dass das ein Ende haben muss. Also, kurze Antwort: Nein, das geht nicht mehr.

Warum denn nicht?
Weil viele Täler längst ein einziges Alpen-Suburbia sind. Und weil in den nächsten Jahren rund um Wien Tausende Häuser dazukommen werden. Das geht sich nicht aus auf Dauer, jeder weiß, dass das ein Ende haben muss. Aber die Einstellung ändert sich nur sehr langsam: Es heißt halt “Bausparvertrag” und nicht “Sanierungssparvertrag”. Und die Wirtschaftsströme sind zu einem großen Teil auf das Einfamilienhaus ausgerichtet: Jeder profitiert davon, von der Baufirma bis zur Scheidungsanwältin verdient jeder daran. Das muss sich alles ändern – von der individuellen Psychologie bis zur hohen Politik läuft vieles in die falsche Richtung.

Das Einfamilienhaus ist quasi Teil der österreichischen Seele. Wie überzeugen Sie die Menschen, in kleineren Räumen in der Stadt zu leben?
Im Urlaub zahlen wir höhere Preise für Zimmer, die möglichst nahe an der Piste oder am Strand liegen. Zehn Minuten weiter weg ist da schon inakzeptabel. Da haben wir diese Mentalität zur Optimierung, zu der wir hinmüssen. Beim Wohnen gibt es dagegen die Mentalität zur Maximierung: Mehr Quadratmeter bedeuten mehr Wohlstand, jedes Kind braucht ein eigenes Zimmer, vielleicht sogar ein eigenes Bad.

Aber was ist die Alternative?
Unsere Städte müssen so sein, dass die nächste Familie sagt: wir ziehen nicht raus, sondern akzeptieren weniger Platz, den wir uns teilen. Dafür verbringen wir mehr Zeit miteinander als zurückgezogen in unseren Zimmern – eigentlich ein sehr konservativer Gedanke. Dieses Umdenken muss nicht als – Zitat Ex-Kanzler Kurz – „Steinzeit“ rüberkommen, sondern als Befreiung: Statt 60 Minuten mit dem Auto hin und her zu fahren und dadurch erst das Abendessen mit den Kindern zu verpassen, lebe ich dann eben in der Nähe meines Arbeitsplatzes, und die Zwölfjährige ist nicht sauer, weil sie in Suburbia festsitzt.

Also: Land schlecht, Stadt gut?
Nein, das echte Leben am Land ist toll. Aber es wohnt ja kaum jemand „am Land“. Das kleine Dorf am Berg? Am Land vom Land leben? Fantastisch. Aber die meisten Leute wohnen in den Einfamilienhaussiedlungen rundherum, in Suburbia.

Was braucht es also?
Es braucht einen Netto-Baustopp – so schnell wie möglich. Wer dann noch ein Einfamilienhaus will, kauft ein bestehendes das thermisch saniert und nachgerüstet wird.

Wie schaffen wir die notwendige Transformation unserer Gesellschaft zur Klimaneutralität ohne gewaltige soziale Verwerfungen?
Punkt 1: Hören wir auf, das dumme zu subventionieren. Mehrere Bundesländer fördern drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs noch immer neue Gasanschlüsse.

Und Punkt 2?
Grundsätzlich ganz einfach: die Internalisierung externer Kosten. Ökonomisches Unwort, aber im Prinzip geht es eben um die Bepreisung von Klimaschmutz – CO2 – einerseits und die Bepreisung von Naturschmutz – Flächenverbrauch – andererseits.

Österreich steigt mit Juli ja in die CO2-Bepreisung ein, mit 30 Euro pro Tonne…
Toll! Es hat zwar 30 Jahre gedauert und der Preis ist niedrig, aber immerhin fängt man endlich an. Ist das jetzt die Lösung für alles? Nein. Es braucht eine Kombination aus sektorenspezifischen Preisen und gezielten Policies – Steuer und Steuerung. Ein Fahrradstreifen mehr hat mit dem Preis nichts zu tun, aber viel mit Klimaschutz und Verkehrswende.

Geht sich das alles aus, wenn wir als Menschheit das Ziel schaffen wollen, bis 2050 klimaneutral zu werden?
Ja. Weil es zwar auf der einen Seite die negativen Kipppunkte gibt, die alle katastrophale Folgen für das Klima haben. Aber auch die positiven sozioökonomischen Kipppunkte. Es ist ja nicht so, dass wir linear soundsoviel Prozent Solaranlagen installieren, sondern das wächst jetzt exponentiell. Dann gibt es gesetzliche Kipppunkte: wenn ab 2023 keine neuen Gasheizungen mehr installiert werden. Es gibt technologische Kipppunkte – CO2-freies Stahl gibt es jetzt schon – und ökonomische: dass sich Wärmepumpen großteils von alleine rechnen, Solaranlagen natürlich ohnehin bereits. Und gesellschaftliche: viele Spitzenköche schwören mittlerweile auf Induktionsherde. Beim Ikea mitten in Wien, der gänzlich ohne zusätzlichem Parkplatz auskommt, kann ich mir um 50 Euro die Induktionsplatte kaufen – billiger und besser als jede Alternative. Wenn man in einem Sektor einmal an diesem Punkt ist, geht es dann schnell.

Das klingt ja alles recht optimistisch.
Für Pessimismus ist es zu spät.

Hausbau im Speckgürtel?: ‘Das geht nicht mehr’“, Gespräch mit Georg Renner, Kleine Zeitung (27. Mai 2022).

Buch zum Gespräch: “Stadt, Land, Klima“, Brandstätter Verlag (2021).

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