Neue Zürcher Zeitung: Effizienter leben

Von Sabine von Fischer


Feuilleton, 10. Februar 2021

Effizienter leben

svf. Der Klimaökonom Gernot Wagner und seine Familie, eine rundum sympathische Truppe, liefern im soeben erschienenen Buch «Stadt – Land – Klima: Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten» üppiges Anschauungsmaterial für die nüchternen Befunde der Klimaökonomie. Dies wohl in dem Wissen, dass ohne Lust an der Sache auch keine Motivation für Verhaltensänderungen besteht. Und diese will Wagner einfordern, vor allem im Dazwischen von Stadt und Land; da, wo der Lebensstil im Siedlungsbrei aus ortlosen Einzelhäusern und Pendlergemeinden zu viel Klimaschmutz produziert.

Die Geschichte beginnt in der niederösterreichischen 78-Quadratmeter-Mittelklassewohnung, wo der Autor seine Kindheit verbrachte, und endet in der 70-Quadratmeter-Wohnung seiner Familie mitten in New York City, sie startet sozusagen bei jedermann und endet mit einem Aufruf zum verantwortungsvollen Handeln. Wagners oft wiederholte Quadratmeterzahlen sind keine zufälligen Bemerkungen, sondern für den CO2-Verbrauch ausschlaggebende Faktoren, die aber in den üblichen CO2-Fussabdruck-Rechnern vernachlässigt werden.

Wo wollen wir wohnen und wie? In der Stadt, lautet das Mantra, vernetzt mit möglichst vielen andern Stadtbewohnern und nahe an Arbeit, Schule und Freizeitspass. Ausführlicher als die Kennzahlen (in den Fussnoten ist ein umfangreicher Apparat von Studien und Fachartikeln hinterlegt) sind die Anekdoten aus dem Leben des jungen Wissenschafters, Ehemanns und Familienvaters, der sich selbst zum Vorbild für eine effizientere Lebensweise stilisiert, inklusive der Fähigkeit zur persönlichen Verhaltensänderung. Dabei streifen wir, fast beiläufig, die wissenschaftlichen Entwicklungen der ökonomischen Modellierungen und Berechnungen ums Klima.

So folgt die Erzählung, die sich zuweilen wie ein Tagebuch oder eine Jugenderinnerung liest, also auch durchaus unterhaltsam ist, einer klaren Absicht: Sie ist ein Appell für ein effizientes Leben im eigenverantworteten genauso wie im politischen Handeln. Dabei gehen Klima und Ökonomie Hand in Hand: Auf den knapp zweihundert Seiten der unterhaltsamen Lektüre lernen wir den Autor und seine Familie kennen, die sich auf 70 Quadratmetern Wohnfläche einem klimaeffizienten Lebensstil verschrieben haben.

Für die globalen Zusammenhänge zehrt Wagner von seinem Schüleraustausch in einer Suburb im amerikanischen Midwest und Besuchen im Elternhaus in Niederösterreich genauso wie im aufgepfählten Haus der thailändischen Schwiegermutter, das auch bei den zukünftig öfter auftretenden Überflutungen trocken bleibt. Unmittelbar an die These des effizienten Stadtlebens geknüpft ist das Familienleben in der New Yorker Loft, mit handbetriebenem Kaffeemahlwerk und zentraler Wärmepumpe.

In Wagners Worten ist die Stadt dann die «ultimative positive Externalität», was nach der Lektüre seines Buchs ganz selbstverständlich klingt. «Effizienz» ist sein Schlüsselwort und die Stadt der Ort, der diese anbietet. So verhallen auch die Unkenrufe, dass die gegenwärtige Pandemie eine Landflucht auslösen werde, im Strassenraum der jahrhundertealten New Yorker Häuserfluchten, hinter denen schon vor hundert Jahren Pandemien durchlitten und Quarantänen ausgesessen wurden, wie uns der Klimabuchhalter nüchtern erklärt.

Globales Denken heisst für Gernot Wagner, am Boden zu bleiben: beim Berechnen der Klimabilanz genauso wie im Alltag. Er betrachtet die Stadt in diesem Sinn also auf Augenhöhe wie einst Jane Jacobs, die breit gegen Robert Moses’ Abrisspläne zugunsten der Highways durch New York mobilisierte. Nun bedrängen keine Autobahnen, dafür Wolkenkratzer mit Luxuswohnungen die gute alte Stadt. Auch diesen widmet Wagner eine Nebenbemerkung: «Das Leben im Wohnturm garantiert vielleicht den Blick auf die Lichter der Stadt, als Ersatz für den ansonsten wegen allgegenwärtiger Lichtverschmutzung unsichtbaren Sternenhimmel.»

Hype ums Grün auf Hochhäusern: Es ist Spektakel und Klimaschutz in einem, aber die Buchhaltung geht leider nicht auf“, Neue Zürcher Zeitung Feuilleton, 10. Februar 2021.

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