Tagesspiegel: „Das moralische Risiko ist ein riesiges Problem“

Gespräch mit Ruth Ciesinger

Durch die künstliche Schaffung eines Aerosol-Schirms um die Erde könnte die Erderwärmung reduziert werden. Einige sehen darin die Lösung gegen den menschengemachten Klimawandel. Erste Vorhaben dazu gibt es bereits. Auch der Klimaökonom Gernot Wagner spricht sich für weitere Forschung dazu aus – eine Lösung der Klimakrise sei das aber keinesfalls.

Ruth Ciesinger: Herr Wagner, Solares Geoengineering bedeutet, dass wir jede Menge Schwefeldioxid in die Atmosphäre befördern würden, um dadurch eine Art Aerosol-Schirm zu schaffen, der die Strahlung der Sonne dimmt. So soll die wegen der Klimakrise immer weiter voranschreitende Erderwärmung verlangsamt werden. Manche Wissenschaftler fürchten, dass wir dann – neben diversen anderen üblen Konsequenzen – künftig unter einem weißen Himmel leben würden.

Gernot Wagner: Ich glaube nicht, dass wir die Folgen mit bloßem Auge sehen könnten. Vielleicht würden Sonnenuntergänge röter werden, so wie durch die Luftverschmutzung während der industriellen Revolution in Städten wie London. Solares Geoengineering birgt genügend Gefahren. Dass der Himmel nicht mehr blau sein wird, ist nicht eine, über die ich mich sorge.

Solares Geoengineering würde bedeuten, dass wir die Luft wieder bewusst mit Schwefeldioxid verschmutzen, inklusive Nebenwirkungen, die wir jetzt noch gar nicht abschätzen können. Eine Sorge ist zum Beispiel, dass wegen der veränderten Sonneneinstrahlung der Monsun komplett ausfallen könnte. Ist das nicht eine Technologie, die uns direkt in den Zusammenbruch des globalen Klima- und Ökosystems führen würde?

Steuern wir jetzt nicht eben diesem Zusammenbruch des globalen Klima- und Ökosystems entgegen? Also ja, die Frage ist tatsächlich: Wie hoch sind die Risiken des Solaren Geoengineerings und wie kann man sie mit den Risiken der Klimakrise vergleichen? Auch beim Monsun ist die Frage, ob nicht die jetzige Klimakrise einen viel größeren Einfluss hat.

Klar, solares Geoengineering ist nicht die Lösung, kann es nicht sein. Wir müssen CO2 und andere Treibhausgase reduzieren. Dann müssen wir uns besser an den Klimawandel anpassen. Und wir müssen inzwischen auch CO2 technisch wieder aus der Luft holen. Unsere Lage ist derartig verfahren, dass wir wirklich jeden Strohhalm brauchen. Deshalb denke ich, ist es notwendig, zu Solarem Geoengineering zumindest weiterzuforschen, um mehr darüber zu verstehen. Denn heute können wir noch nicht abschließend sagen, ob es Teil der Lösung sein könnte, oder ob es auf keinen Fall Teil der Lösung sein dürfte.

Aber Sie glauben, dass es nur noch eine Frage des Wann ist, und nicht Ob die Technik eingesetzt wird. Warum?

Weil der ungebremste Klimawandel schon so unglaublich weit vorangeschritten ist. Deshalb glaube ich, dass es eine Frage der Zeit ist, bis irgendwo jemand tatsächlich versucht, Solares Geoengineering im großen Stil zu betreiben. Die ersten Versuche im Kleinen hat es dazu jetzt schon gegeben.

Sprechen Sie von dem amerikanischen Tech-Start-Up „Make Sunsets“? Das Unternehmen verkauft sogenannte „Kühl-Zertifikate“ und schickt dafür dann angeblich Ballons voll Schwefeldioxid in den Himmel, die in etwa 20 Kilometer Höhe platzen sollen.

Das sind, mit Verlaub, ein paar Verrückte. Das ist ein großer Schritt in die falsche Richtung, was dieses Unternehmen mit privaten Geldern machen möchte. Aber ja, das gibt es eben auch. Ich habe allerdings an ein Forschungsprojekt in England gedacht, wo im vergangenen September Wissenschaftler zu Testzwecken einen Ballon mit 400 Gramm Schwefeldioxid in die Stratosphäre in etwa 30 Kilometer Höhe geschickt haben. Sie nennen das Programm übrigens SATAN.

Klingt nicht sehr beruhigend.

Gott sei Dank klingt das nicht beruhigend. Worum es wirklich geht, ist ja, dass wir CO2-Emissionen reduzieren müssen, und solares Geoengineering ist keine Lösung für dieses CO2-Problem.

Als 1991 auf den Philippinen der Pinatubo ausgebrochen ist, hat der Vulkan Megatonnen an Schwefel- Aerosolen in die Atmosphäre geschleudert. Das hat die Sonneneinstrahlung so gedimmt, dass 1992 die durchschnittliche Erdtemperatur tatsächlich um 0,5 Grad gesunken ist. Als sich die Partikel gesetzt hatten, ist die Temperatur wieder hochgeschnellt. Wie würden wir Menschen denn die Erdtemperatur senken?

Man würde tatsächlich versuchen, in Teilen die Folgen eines solchen Vulkanausbruchs zu imitieren. Dazu bräuchte es neue, hochfliegende Flugzeuge mit massivem Flugzeugrumpf und einer sehr großen Spannbreite. Diese Maschinen könnten das Schwefeldioxid bis in die Stratosphäre transportieren und dann in 20 Kilometer Höhe nahe des Äquators ausbringen. Das wäre die vielleicht in Anführungszeichen beste Variante. Allerdings gibt es diese Flugzeuge derzeit noch nicht.

Warum müssten die Schwefel-Partikel in Höhe des Äquators ausgebracht werden?

Das Ziel wäre ja, die globale Durchschnittstemperatur zu senken, und keine regionalen Effekte auszulösen. Letzteres könnte nämlich potenziell katastrophale Wetterphänomene nach sich ziehen. Aufgrund der atmosphärischen Zirkulation vom Äquator zu den Polkappen und dann von West nach Ost würde beim Ausbringen dort am ehesten ein globaler Effekt entstehen.

Wer kann solche globalen Entscheidungen treffen und nach welchen Kriterien eigentlich?

Tatsächlich gibt es dafür keine globale, demokratisch legitimierte Institution, die Vereinten Nationen sind es jedenfalls nicht. Das Problem ist, dass die technische Umsetzung von Solarem Geoengineering relativ einfach wäre. Es könnte also theoretisch ein einzelner Staat, der die technische Kapazität und das Geld dafür hat, auf eigene Faust damit loslegen. Weltweit sind das ein Dutzend, würde ich sagen.

Bill Gates hat ja Ihr früheres Forschungsprojekt in Harvard mitgefördert. Mache vermuten dahinter finanzielle Interessen und nicht Engagement für den Klimaschutz.

Bill Gates war einer der Sponsoren unseres Forschungsprogramms. Aber es ging überhaupt nicht darum, Patente oder ähnliches zu entwickeln. Gates war sich selbst bewusst darüber, wie sein Engagement in der Öffentlichkeit ankommen könnte und hat deshalb darauf bestanden, nicht der einzige Förderer zu sein. Von zehn Millionen Dollar Budget hat er zum Beispiel vier gegeben. Und soweit ich weiß, steckt er Milliarden in die Forschung zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Das ist generell das richtige Verhältnis, denke ich. Wir sollten in Forschung zu solarem Geoengineering investieren, aber tausendmal mehr in die eigentliche Klimaforschung, Klimapolitik und die Reduzierung von CO2-Emissionen stecken.

Der Republikaner Newt Gingrich hingegen hat schon vor Jahren Klimaschutzmaßnahmen für überflüssig erklärt, weil die Erderwärmung ja mit Solar Geoengineering gestoppt werden könne. Sind die treibenden Kräfte hinter dieser Forschung nicht einfach diejenigen, die noch so lange wie möglich fossile Energieträger verheizen wollen?

Ja, das ist ein riesiges Problem, das sogenannte moralische Risiko, der „moral hazard“. Die Gefahr ist groß, dass jemand, der von der heutigen Situation sehr, sehr profitiert und das hier liest, denkt, ,Gott sei Dank, da gibt es diese Technik, die wird uns retten. Ich kann weiter mit dem SUV auf der Autobahn rasen, muss den Gasherd nicht ersetzen, brauche keine Wärmepumpe und muss überhaupt mein Leben nicht verändern‘. Das wäre komplett falsch. Also, ja, es gibt dieses moralische Risiko. Aber vielleicht gibt es auch das Gegenteil, und jemand liest dieses Interview und denkt sich, diese Frankenstein-Methode ist mir ein Schritt zu weit, da steige ich lieber vom Gaspedal.

Was schlagen Sie also vor?

Ich werbe für einen dezidiertes Moratorium gegen den Einsatz von Solarem Geonengineering verbunden mit einer expliziten Erlaubnis für die Erforschung im Kleinen. Und wenn ich sage klein, dann geht es etwa um das Ausbringen dieser besagten 400 Gramm Schwefeldioxid in der Stratosphäre. Da ist selbst der lokale Einfluss gleich Null. Die Gefahr ist größer, dass jemandem ein Teil des Ballons auf den Kopf fällt. Und es ist besser, wir erforschen diese Technik jetzt, anstatt blind in eine Situation zu schlittern, in der ein einzelner Akteur nach dem dritten Jahrhundert-Zyklon innerhalb von drei Jahren mit hunderttausenden Toten sagt: So, jetzt geht es nicht anders, jetzt machen wir das. Und wir erfahren mehr darüber, ob und wie die Technik uns möglicherweise doch auch helfen kann. Die Entscheidung über deren Einsatz darf aber nicht bei den Wissenschaftlern liegen. Das muss natürlich eine politische Entscheidung sein.

Interview mit Ruth Ciesinger, publiziert im Tagesspiegel unter dem Titel „Das moralische Risiko ist ein riesiges Problem“.

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