titel thesen temperamente

Plädoyer für die Stadt

https://www.youtube.com/watch?v=kleehR8b8sc

Die besinnliche Vorstadt, das stille Haus im Grünen, eigener Garten, eigenes Glück. Die Stadt dagegen – als dreckiger Moloch verschrien, seit Jahrzehnten, ob New York, Berlin oder Tokio. Menschenmassen, Enge, Lärm und Abgase. Das eigene Heim im Grünen – das ist nicht erst seit der Pandemie der Traum von vielen. “In der Stadt zu leben, das heißt inzwischen Selbstmord auf Raten,” meinen einige. Er sieht das anders: Gernot Wagner. Österreicher, Klimaökonom, Stadtliebhaber, der in New York lebt. So eine urbane, dicht besiedelte Stadt ist für ihn die Rettung unserer Welt.

“Seit Jahrzehnten wurde uns eingetrichtert, dass ein Einfamilienhaus Erfolg bedeutet, dass man eben davon träumt, der Traum vom Eigenheim. Seit Jahrzehnten,” so Wagner. “Jede Fernsehwerbung sagt uns, dass Autos Freiheit bedeuten, und mehr Platz mit mehr Glück einhergeht. Die Fahrt zurück, die ist nicht irgendwie ein Muss, die ist Freiheit.” Gernot Wagner aber geht es um einen ökologischeren, sinnvolleren Weg zu leben. Fernab von allen Werbeverheißungen.

Wagner: “Es kommt kaum jemand für seine vollen CO2-Kosten auf”

Die Freiheit, auf dem Weg zum Eigenheim draußen im Stau zu stehen und ungehemmt Ressourcen zu verbrauchen ist ökologisch ein Desaster: durch Versiegelung, Pendlerpauschale und Baukindergeld von allen mitbezahlt. Eben diese Einfamilienhäuser schaden der Umwelt und dem Klima. Sie verbrauchen zu viel Fläche, zu viel Baustoffe, zu viel Energie und führen zur Zersiedelung. Und wenn dann noch mit dem Auto in die nächstgelegene Stadt gependelt wird, dürfte die Klimabilanz der glücklichen Eigenheimbewohner verheerend sein – allerdings mit Pendelerpauschale und Eigenheimzulage staatlich subventioniert.

“Wenn ich mir das leisten kann, natürlich, dann gibt’s den Wintergarten und den zweiten Wintergarten und die Sauna neben dem Schwimmbad, und das gehört alles mir persönlich,” erklärt Wagner. “Wir als Gesellschaft, ob das nun in Amerika ist oder Deutschland oder Europa, wir subventionieren das Leben in Einfamilienhäusern sehr stark. Das heißt, es kommt kaum jemand für seine vollen CO2-Kosten persönlich auf.”

Vorstädte als Drecksschleudern?

Die Villa im Grünen ist heute Status- und Erfolgssymbol. Doch durch Hausbau und Pendeln ist der CO2-Verbrauch doppelt so hoch wie auf dem Dorf oder in der Stadt. Ein deutscher Neubau hat im Schnitt inzwischen 150 statt 80 Quadratmeter, wie früher. In den USA sind es sogar 200. Wagner wehrt sich gegen die weltweit stark wachsenden Vorstadtsiedlungen. Und wenn in denen mal ökologisch gebaut wird, ist die Energiebilanz am Ende oft trotzdem nicht besser.

“Je besser isoliert, falls es überhaupt die Möglichkeit gibt, desto größer das Haus. Rebound-Effekt,” so Wagner. “Es geht im Prinzip darum: Wenn jetzt der zusätzliche Quadratmeter sehr, sehr billig zu heizen ist, weil alles so gut isoliert ist, dann wird das Haus auch dementsprechend größer. Was natürlich in der Stadt nicht geht. Also, das ist unser Platz. Größer geht’s nicht.” In seinem neuen Buch “Stadt, Land, Klima” hält Gernot Wagner ein flammendes Plädoyer für die Stadt.

Ein Plädoyer für die Stadt

Ausgerechnet – sind Städte doch oft als naturfeindlich verschrien! Dabei sind sie in der Regel effizient organisiert, kurze Wege, der ÖPNV oder noch besser das eigene Fahrrad machen das Auto überflüssig. Und wenn sich der moderne Städtebewohner dann auch noch räumlich etwas einschränkt, aber Dank kluger Grundrisse, moderner Technologien und Kreativität, ausreichend Platz hat – wäre das gut für unser Klima, so Wagner. Die Wagners wohen zu viert auf 70qm. Das bedingt eine enge Familienzusammengehörigkeit, eigentlich ja ein konservativer Ansatz, sagt er. Das hier ist umweltfreundlicher und effizienter als eine Trutzburg in der Vorstadt. Leben in der Stadt bedeutet Raum- und Arbeitsteilung, zum Beispiel was die eigene Wäsche angeht oder den Kaffee um die Ecke. Deshalb sieht Wagner vehement die Politik gefordert, damit Stadt für alle schmackhaft und vor allem: erschwinglich wird.

“Es geht um Investitionen von staatlicher, kommunaler Seite. Parks, Grünanlagen einerseits, Wohnungsbau, andererseits. Natürlich ebenso Verkehrspolitik, Mobilitätspolitik, Innovationspolitik. Um es tatsächlich erst zu ermöglichen, so zu wohnen,” sagt Wagner. Lieber die Städte verbessern, als die Speckgürtel vergrößern. Wer die Umwelt retten will, der bleibe in der Stadt. ttt trifft den überzeugten Städter in New York und lotet aus, wie die Klimaziele mit moderner Stadtplanung doch noch erreicht werden können.

(Beitrag: Thorsten Mack)

Das Ende des Eigenheims: Provokantes Plädoyer für die Stadt“, titel thesen temperamente, NDR/Das Erste, 11. April 2021.

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