von Sibylle Anderl
„Es ist so billig, es zu tun, dass es nur eine Frage der Zeit war, dass es irgendwo einen Verrückten gibt, der aus solarem Geoengineering ein Geschäft macht“, sagt Gernot Wagner, Klimaökonom von der Columbia Business School. Die Ausbringung von Aerosolen in die Stratosphäre unterscheidet sich hinsichtlich der Kosten deutlich von anderen teureren und aufwendigeren Varianten des solaren Geoengineerings wie etwa der futuristisch wirkenden Idee, spiegelnde Sonnensegel im All zu positionieren, um auf diese Weise Sonnenlicht von der Erde weg zu lenken.
Die aktuellen Entwicklungen, erste Geoengineering-Freilandversuche mit stratosphärischen Aerosolen zu realisieren, hält er für wenig besorgniserregend. Er selbst gehört zu denjenigen Wissenschaftlern, die sich entschieden für eine bessere Erforschung dieser Technologie
engagieren, 2016 hat er zusammen mit David Keith an der Harvard University das erste große Forschungsprogramm zu solarem Geoengineering ins Leben gerufen. „Es geht darum, Fragen zu dieser Technologie beantworten zu können, bevor sich Politiker selbst eine Antwort geben, ohne
dass es eine Faktenbasis gibt“, sagt er.Diese Einstellung liegt im Trend.
„Das eigentlich Verrückte am solaren Geoengineering wäre, wenn man glaubte, dass es als isolierte Maßnahme zu verstehen ist“, sagt Gernot Wagner. „Ähnlich verrückt wie zu sagen: Wir verzichten auf Elektromotoren und Solaranlagen, weil wir auf Wasserstofftechnologie und Fusionsreaktoren warten.“ Er sieht solares Geoengineering als eine Art Schmerzmittel, das die Folgen des Klimawandels abschwächen kann, während gleichzeitig mit unverändertem Einsatz die Emissionen reduziert werden müssen.
Was diese Forschung am Ende bewirken wird, bleibt unklar. Kritiker befürchten, dass eine Etablierung des Forschungsfeldes einer kritischen Diskussion der Technologie entgegenwirken könnte. Es gibt auch noch Fragen bezüglich der generellen Realisierbarkeit: Für eine messbare Abkühlung des Klimas wäre das Einbringen großer Mengen Schwefeldioxids in die Atmosphäre nötig. Mit Ballonen wäre das mühsam, entsprechende
Flugzeuge oder Raketen zu bauen ist schon aufwendiger. Trotzdem wäre es denkbar, dass etwa vom Klimawandel besonders in Mitleidenschaft gezogene Länder oder sogar wohlhabende Einzelpersonen innerhalb der kommenden Jahrzehnte Geoengineering im Alleingang in Angriff nehmen könnten – unbeeindruckt von den möglicherweise in weiterer Forschung herausgearbeiteten Risiken. Schätzungen zufolge würde solares Geoengineering pro Jahr schließlich nur wenige Milliarden Dollar kosten.Gernot Wagner könnte sich noch eine andere Lösung vorstellen. Seine These: Je konkreter über riskantes solares Geoengineering diskutiert werde, desto größer sei die Motivation der Menschen, sich für alternative Wege einzusetzen. Mit Blick auf die vergangene Entwicklung
hochriskanter Technologien mag diese Vorstellung sehr optimistisch erscheinen.
Zitiert in: “Eine Frage der Zeit: Die Minderung der CO2-Emissionen läuft schleppend. Kann das Klima gerettet werden, indem wir die Sonne verdunkeln?” [Online Titel: “Kann das Klima gerettet werden, indem wir die Sonne verdunkeln?“] von Sibylle Anderl, Frankfurter Allgemeine Zeitung (29. September 2023). [PDF]