Futurezone Gespräch mit Markus Keßler
Der Ökonom Gernot Wagner beschäftigt sich an der Harvard University mit den wirtschaftlichen Aspekten des Klimawandels. Er glaubt, dass die Probleme über die Märkte gelöst werden können, allerdings nur wenn auch alle davon profitieren. Da wir die Erwärmung in absehbarer Zeit nicht aufhalten werden, würde Wagner auch technische Eingriffe in die Natur, etwa in Form einer Ausbringung von Schwefeldioxid in der Atmosphäre, in Kauf nehmen, um die Temperaturen in einem vertretbaren Bereich zu halten.
Da diese Lösung so billig wäre, nimmt der Ökonom an, dass sie schon bald eingesetzt wird, entweder unter staatlicher Aufsicht oder von Privatpersonen, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Die futurezone hat Wagner vor kurzem in Wien zum Interview getroffen, wo er einen Vortrag im Rahmen der Zukunftsgespräche der FH Campus Wien gehalten hat.
futurezone: Sie sprechen in Ihrem Buch von “Klimaschock”. Was heißt das?
Gernot Wagner: Beim Klimawandel ist es so, dass was wir wissen schon schlimm genug ist, aber was wir nicht wissen ist noch viel schlimmer. Impulse wie beim Klimagipfeln in Paris sind fantastisch und wichtig, reichen aber nicht, um sicherzustellen, dass die jährlichen Emissionen sinken. Der Klimaschutz ist am Ende ein Badewannenproblem. Wenn ich sichergehen will, dass das Wasser nicht überläuft, muss ich den Hahn zudrehen. Viele, einschließlich Politiker, glauben aber nach wie vor dass es reicht, den Wasserzufluss einfach nur zu stabilisieren.
Was wissen wir nicht?
Der Zusammenhang zwischen CO2 und Erderwärmung ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Die offene Frage ist, was genau passiert, wenn ich die CO2-Konzentration erhöhe. Bereits 1979 wurde errechnet, dass eine Verdoppelung der CO2-Konzentration zu einem endgültigen Temperaturanstieg von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius führen wird. Seither sind hunderttausende Studien zu dem Thema erschienen, trotzdem gilt die “wahrscheinliche” Temperaturspanne von 1979 noch.
Warum ist die Unsicherheit ein Problem?
Je größer die Unsicherheit in den wissenschaftlichen Studien ist, desto schlechter ist es für uns. Einerseits politisch, denn dann heißt es: “Wir müssen erst abwarten, bis wir Klarheit haben”. George Bush hat in den USA eine CO2-Steuer abgelehnt mit dem Argument, dass erst noch mehr geforscht werden müsse. Das ist der falsche Weg, denn die Unsicherheit – das nicht genau wissen – selbst ist das Gefährliche. Unsicherheit ist in diesem Fall auch schlimmer als Risiko. Am Ende ist Klimapolitik Risikomanagement, oder zumindest sollte es das sein. Wie gesagt, wir wissen genug um zu handeln. Die Restunsicherheit – das Restrisiko – bedeutet wir müssen noch mehr tun.
Was wäre ihre Strategie gegen den Klimawandel?
Jeder soll für jede verursachte Tonne CO2 selber zahlen. In den USA werden pro Kopf und Jahr etwa 20 Tonnen CO2 produziert. In Österreich sind es 10. Das sollte jeder bezahlen. Derzeit bezahlen sieben Milliarden Menschen auf der Welt jeweils einen Bruchteil eines Cents, wenn ich eine Flugreise mache. Das heißt, die Gewinne werden privatisiert und die Kosten auf alle abgewälzt. Dass das nicht gutgehen kann haben wir in der Bankenkrise gesehen und im Klimaschutz ist es genau dasselbe.
Ist die Verallgemeinerung der Kosten nicht der Kern des Systems?
Welches System? Kapitalismus wäre fantastisch, wenn wir es endlich versuchen würden. Die Abwälzung der Kosten auf die Allgemeinheit ist die schlechteste Form von Sozialismus, eine die nur den Reichen hilft. Jeder sollte selber zahlen.
Der Markt wird es also richten?
Ja und nein. Radfahrende Vegetarier ändern die Welt nicht. Eher werden es Apple, Google oder Tesla sein. Aber natürlich machen die das nicht alleine. Dazu bedarf es einer CO2-Steuer. Die Veränderung selbst aber muss auf Basis des Marktes passieren.
Was wenn die Technologiekonzerne die falschen Visionen verfolgen?
Da bedarf es wieder der lieben Politik. Eine CO2-Steuer alleine ist auch nicht genug. Gefragt wäre stattdessen Systemdenken. Selbstfahrende E-Autos klingen gut, aber das bedeutet wahrscheinlich weniger Öffis und Radfahrer und etwa auch mehr Zersiedelung. Hier können leicht die falschen Visionen verfolgt werden.
Das heißt die Politik muss das Ruder in die Hand nehmen?
Es gibt tatsächlich auch gute Beispiele. Singapur etwa denkt derzeit in diese Richtung. Einfach nur selbstfahrende E-Autos an Privatbesitzer zu verkaufen würde nichts verändern, oder die Dinge vielleicht sogar schlechter machen. Eine mögliche Lösung? E-Autos an die öffentliche Hand oder Firmen verkaufen, die dann das Service an die Bevölkerung anbieten. Das Resultat? Insgesamt weniger Parkplätze, bessere Stadtplanung, und so fort.
Selbstfahrende E-Autos sind für eine Stadt wie Wien wohl keine Alternative zu den Öffis.
Das selbstfahrende Auto ist sicher nicht überall die beste Lösung. Stadtplanung muss eine prominente Rolle spielen. Natürlich wäre mir lieber, wenn jede Stadt so wäre wie Cambridge, wo ich zwei Minuten zu Fuß zur Arbeit und mein Fünfjähriger 12 Minuten mit dem Rad zur Schule braucht.
Würde der Markt nicht die öffentliche Versorgung gefährden?
Markt bedeutet nicht laissez-faire. Markt bedeutet menschliche Tatkraft in die richtige Richtung zu leiten oder erstmals überhaupt zu ermöglichen. Google gibt seinen Leuten pro Woche einen Tag Zeit, um eigene Projekte zu verfolgen. Der größte Profiteur dabei ist natürlich Google selbst. Am Ende muss aber die gesamte Bevölkerung profitieren. Konzepte wie die Mindestsicherung zeigen, wie wir so etwas in einer reichen, offenen Gesellschaft ermöglichen könnten.
Sind links und rechts in diesem Zusammenhang noch valide Konzepte?
Es ist klar, das politische System in Österreich ist verkrustet. Ob Capital oder Volksstimme, ich erzähle jedem Journalisten dasselbe. Alle nicken und exzerpieren dann dieselben Stellen aus meinem Buch, um ihre Sichtweisen zu bestätigen. Die einen meinen, es gehe doch darum, sich persönlich ökologischer zu verhalten. Die anderen schreiben, es brauche eine Systemänderung. Die Wahrheit ist, dass es darum geht, den menschlichen Tatendrang in die richtigen Bahnen zu lenken, so dass alle profitieren und die Kosten gerecht verteilt werden.
Das bedingungslose Grundeinkommen könnte die Probleme lösen?
Wir führen heute Debatten darüber, wie viel Ungleichheit der Fortschritt benötigt, statt zu fragen, wie wir die Ungleichheit loswerden. Auch Schweden hat Ungleichheit, dort verdient ein Vorstand fünfmal so viel wie eine Putzfrau. In den USA ist es aber das Fünfhundertfache, deshalb haben wir dort jetzt Trump. Es wird oft vergessen, dass zum Erfolg in unserem System neben harter Arbeit und Intelligenz auch eine gehörige Portion Glück gehört.
Ist Trump eine Gefahr für das Weltklima?
Direkt Gott sei Dank kaum. Die grüne Welle ist bis zu einem gewissen Grad bereits ein Selbstläufer. Die Bundesstaaten wollen grüne Energie und die damit verbundenen Arbeitsplätze. Deren Politik wird sich unter Trump kaum ändern. Indirekt ist Trump aber tatsächlich eine Gefahr, etwa durch Rückschritte bei der hart erarbeiteten Klimakooperation der Staatengemeinschaft. Was auch problematisch ist, ist dass Trump US-Klimaforschungsbudget auf null kürzen will. Die grüne Welle kam nicht von alleine. Die bedurfte aktiver staatlicher Subventionen über Jahrzehnte hinaus.
Könnte das einen Vorteil für Europa bedeuten?
Das kann für Europa und China gut sein, weil sie hier einen Vorsprung erarbeiten können. Aber wenn alle Mauern bauen, haben wir ein Problem. Langfristig würden wir so unsere Technologie auf dem jetzigen Stand einfrieren. Ohne weiterer Innovation können wir das Klimaproblem nicht lösen.
Sie befürworten Geoengineering. Wie soll das gehen?
Ich befürworte das Erforschen des Geoengineerings. Ein Gedankenexperiment: Falls wir es schaffen, den CO2-Ausstoß morgen auf 0 zu reduzieren, was würde geschehen? Die Antwort: Die Temperatur würde sofort stark steigen. Der Grund ist, dass wir mit den CO2-Emissionen aus Schornsteinen auch den SO2-Ausstoß abdrehen würden. SO2 kühlt die Atmosphäre und wirkt dem Treibhauseffekt entgegen, verbleibt aber nur einige Tage in der Atmosphäre. Fällt das weg, steigen die Temperaturen. Das heißt nicht, dass SO2 in der Luft gut ist. Ganz im Gegenteil. Jährlich sterben drei bis sechs Millionen Menschen an dieser Luftverschmutzung. Aber wir müssen uns des Zielkonflikts bewusst sein. Das ist auch vielleicht das beste Argument für Geoengineering: CO2 auf 0, bodennahes SO2 auf 0. Könnten wir dann ein 50stel des SO2 aus der bodennahen Atmosphäre in die Stratosphäre bringen, hätten wir auch auf kurzfristige Sicht stabile Temperaturen.
Wären die Konsequenzen für unser komplexes Ökosystem abschätzbar?
Natürlich bedarf es weiterer Forschung, bevor wir so eine Entscheidung treffen könnten. Aber, das was wir bisher wissen zeigt, dass diese Art von Geoengineering überraschend viele Vorteile bringen könnte. Es darf aber nie so sein, dass wir zur Kompensation hoher CO2 Werte einfach mehr SO2 in die Stratosphäre pumpen. Erster Schritt: mit dem Rauchen aufhören. Aber das heißt nicht, dass man nicht auch Lungenkrebs behandeln sollte. „Ätsch, hätten Sie nichts geraucht,“ ist keine Antwort. Geoengineering kann man vielleicht am besten als Chemotherapie für den Planeten sehen.
Das ist trotzdem eine aggressive Methode, die den Klimaschutz aushebelt.
Diese Art von Geoengineering ist so billig, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand damit anfängt. Die Frage ist, ob die Wissenschaftler jetzt forschen sollen, oder lieber zusehen wollen. Das Letzte was wir wollen ist, dass ein Milliardär mit Grundstücken am Meer die Sache selbst in die Hand nimmt.
Wer soll diese Entscheidungen treffen? Die Konsequenzen müssten alle tragen.
Tatsächlich muss eine globale Diskussion geben. Hier ist natürlich noch viel Arbeit nötig. Mit der physikalischen Forschung zu beginnen, und etwa mit einem Ballon winzige Mengen SO2 in die Stratosphäre einzubringen, ist relativ leicht. Die politischen Aspekte sind viel schwieriger.
Was tun Sie gegen Ihr eigenes schlechtes Gewissen in Sachen Umweltschutz?
Mein Hauptbeitrag ist wahrscheinlich Bücher für eine verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema zu schreiben. Und ja, ich habe persönlich keinen Führerschein, bin Vegetarier und versuche bewusst zu leben.
Das ist laut ihren Aussagen zu wenig.
Ja, wir müssen sieben Milliarden dazu bewegen, das Problem anzugehen. Das geht ohne politische Impulse nicht.
Futurezone Gespräch mit Markus Keßler, 15. Dezember 2016.