Gespräch mit Andreas Schnauder
Das Verbrennerverbot ist eine gute Sache, ebenso wie es das Verbot der klassischen Glühbirne und ihr Ersatz durch LED war: Gernot Wagner ist Klimaökonom und überzeugt, dass sich Klimaschutz bezahlt machen wird – für jeden Einzelnen. Jetzt sei die Zeit, mit ineffizienten und verschmutzenden Technologien aufzuräumen und zwar möglichst schnell. Pragmaticus-Chefredakteur Andreas Schnauder hat Wagner zum Gespräch beim Europäischen Forum Alpbach getroffen.
Der Pragmaticus: Klimakrise, Erderhitzung, Naturkatastrophen quer über den Globus: Ist die Lage wirklich so schlimm, wie sie in vielen Medien dargestellt wird oder schwingt in der Klima-Berichterstattung eine gehörige Portion Alarmismus mit?
Gernot Wagner: Die Extremwetterereignisse, wie wir sie gerade erleben, sind leider Realität. Und ja: Es wird um einiges schneller schlimmer, als es viele Wissenschaftler vor fünf oder zehn Jahren für möglich gehalten haben. Die negativen Kipppunkte sind allzu real. Dem gegenüber wird aber tatsächlich auch einiges schneller besser.
Es gibt also Hoffnung?
Ich bin tatsächlich optimistisch. Der Wettlauf in die grüne Zukunft ist auch Realität. Wir sehen viele positive sozio-ökonomische Kipppunkte. In Österreich sind die Emissionen im Vorjahr um sechs Prozent gesunken. Das eine Jahr ist natürlich noch kein Trend. Aber man merkt immer stärker: Wenn einer mit der Solaranlage am Dach oder der Wärmepumpe beginnt, folgen erst die unmittelbaren Nachbarn und dann ein jeder. Du möchtest schließlich nicht der Einzige unter den Nachbarn sein, der noch am Gas hängt. Oder Stichwort Gas beim Kochen: Der Kipppunkt da? Mehr Promi-Wohnungen auf den Titelseiten von Architektur-Magazinen mit Induktionsherd. Und nein, diese neue Technologie ist keinesfalls nur für die Reichen. Ikea verkauft eine 60 Euro-Induktionsplatte. In der Schweiz verkauft Ikea übrigens schon Solaranlagen und Wärmepumpen. Auch Ikea alleine wird die Welt nicht retten, aber natürlich ist das alles äußerst positiv.
Benötigen wir dennoch jene Verbotskultur, die immer stärker um sich greift? Verbot von Verbrennungsmotor, von Flügen plus Diskussionen über Fleischverbot und Obergrenzen für Wohnfläche und CO2-Ausstoß für jeden Einzelnen? Sollten wir nicht stärker auf Anreize und Lenkung setzen, um die Menschen besser mitzunehmen?
Der beste Weg von Wien nach Linz ist eben der Zug und nicht das Flugzeug. Oder: Die LED-Lampe ist nunmal um einiges besser als die altertümliche Glühbirne, die 90 Prozent der Energie in Wärme anstatt Licht umwandelt. Es war übrigens George W. Bush, der die Glühbirne in den USA effektiv verboten hat. Also nicht unbedingt ein Links-Linker. Warum hat er das gemacht? Solche Standards zu setzen ist ja schließlich die Aufgabe der Politik. Klar, damals hat es auch Diskussionen über eine Verbotsgesellschaft und die Freiheit der Glühbirne gegeben. Mittlerweile gehen die alten Glühbirnen niemanden mehr ab, nicht zuletzt, weil LEDs insgesamt auch billiger sind. Ich zumindest finde es gut zu wissen, dass ich im Geschäft nicht selbst die Lebenskosten meiner Glühbirne berechnen muss und leicht die falsche Wahl treffen könnte. Freiheit eben.
Gut, aber hier wird von einigen Gruppierungen nicht nur ein Kampf gegen den Klimawandel geführt, sondern für eine neue gesellschaftliche Ordnung. Sollte man das nicht klar trennen?
Waren es nicht schon immer die jungen Radikalen, die Entwicklungen angestoßen haben, die wichtig waren? Frauenwahlrecht, Gleichberechtigung im Allgemeinen. Natürlich: Nicht jeder Vorschlag der 68er-Generation war ideal. Aber lassen Sie mich das Stichwort Fleisch aufnehmen. Es gibt Studien, dass ein vegetarisches Leben ein gesünderes und längeres Leben ist, das reicht bis ins Bett: Es ist so, dass Vegetarier ein besseres Sexualleben haben. Das heißt jetzt nicht, dass wir in Österreich die Fleischkochlehre verbieten, aber warum nicht auch die vegetarische Kochlehre erlauben? Oder Stichwort Klimakleber. Am vergangenen Wochenende stand der Verkehr in Hallstatt, wo sich die Einwohner gegen die Touristenflut zur Wehr setzen. Die Tunneleinfahrt nach Hallstatt zu sperren, ist die radikale Lösung. Klar wäre eine pragmatische Lösung gut. Ok, es gibt in vielen Großstädten eine City-Maut, warum nicht in Hallstatt? Oder man macht eine Obergrenze für Parkplätze, die man schon Jahre vorher buchen und deren Buchung man handeln kann. Quasi wie der Emissionshandel in der EU. Alle Autos ohne Parkplatz sind verboten. Dazu kommen Elektrobusse, die im 10-Minuten Takt zum nächsten Bahnhof fahren. Hier trifft Technologie auf ökonomische Anreize und kreative Lösungsansätze. Das ist wie ein Mikrokosmos der idealen Klimapolitik.
Zurück zu Ihrem Optimismus: Welche positiven Entwicklungen sehen Sie noch im Kampf gegen den Klimawandel?
Learning by doing. Das erste Mal, wenn der Installateur die Solaranlage sieht, weiß er noch nicht, wo oben und unten ist und wo der Anschluss ist. Bei der zehnten Anlage geht das schon besser und bei der tausendsten installiert er schon fünf statt anfangs eine am Tag. Learning by doing ist einer der wichtigsten Faktoren, die zur radikalen Preissenkung bei erneuerbaren Energien geführt hat. Solarenergie ist mittlerweile die billigste Energie in der Geschichte überhaupt – und das schon seit 2019. Dazu kommt: Öl, Gas, Kohle sind Rohstoffe, deren Preise für immer schwanken werden. Erneuerbare sind Technologien, die per Definition immer besser und daher auch billiger werden. Die beste Versicherung gegen schwankende fossile Energiepreise? Totalausstieg aus den Fossilen.
Die Frage ist, ob es überhaupt noch Subventionen in diesem Ausmaß braucht, wenn beispielsweise Solarenergie schon so wettbewerbsfähig ist.
Da muss man sich schon das Gesamtbild ansehen. Global fließen immer noch Billionen Dollar an Subventionen in fossile Energieträger. Das ist immer noch mehr als die Subventionen für Erneuerbare. Marktkräfte frei walten lassen ist fantastisch, aber das tun wir ja so wirklich nirgendwo. Es gilt also, diese Marktkräfte in die richtige Richtung zu lenken. Das heißt Steuer, es heißt Steuerung, es heißt auch die richtigen Subventionen, ob für Haushalte und die Energiewende im kleinen, natürlich auch für Industrie und Handel.
Bei den erneuerbaren Energien wird von vielen Experten die Gefahr mangelnder Verfügbarkeit thematisiert, weil Sonne nicht immer scheint und Wind nicht immer weht, während Deutschland gleichzeitig aus Atomkraft aussteigt. Ist dieser sogenannte Zappelstrom ein ernsthaftes Problem?
Punkt eins: In Deutschland den letzten Atommeiler vom Netz zu nehmen, während das letzte Kohlekraftwerk bis 2036 läuft, ist aus Klimasicht dumm. Klar. Aber in Österreich stellt sich diese Frage ja nicht. Im Land der Berge, Land am Strome kommen 70 Prozent des Stroms aus Wasserkraft. Ein jedes Speicherkraftwerk ist eine natürliche Batterie. Da gibt es keine Ausrede, dass wir Gas verbrennen, um Stabilität im Netz zu garantieren. Vollgas für die Erneuerbaren!
Auch bei Wasserstoff, E-Fuels und anderen alternativen Kraftstoffen?
Elektromotoren sind fünf Mal effizienter als Verbrenner. Das heißt nicht, dass es nicht irgendwo einen Porsche mit E-Fuels geben kann, wo sich der Autoliebhaber für eine Oldtimer-Fahrt auf den Großglockner die E-Fuels leistet. Aber als Regierungschef sollte ich doch auf die Physik blicken und nicht Politk für Oldtimer machen, sondern auf effiziente Elektromotoren setzen. Das Gleiche gilt etwa für die Wasserstoff-Eisenbahn im Zillertal, wo die Elektrifizierung die klar bessere und viel billigere Alternative ist.
Marc Elsberg hat ein neues Buch – °C – geschrieben, in dem China versucht, das Klima durch Verdunkelung zu stabilisieren. Sie forschen seit vielen Jahren zu Geoengineering. Wie realistisch ist die Senkung der Temperaturen durch das Dimmen der Sonne?
Also zuerst zur Realität in China: Wer hätte bis vor kurzem erwartet, dass China soviel Solarenergie installiert – mehr als der Rest der Welt zusammengenommen – und deshalb seine Emissionen schon ab 2025 und nicht erst ab 2030 senken wird? Auch das ist nicht genug, aber es tut sich viel. Zum Geoengineering, ja diese Szenarien kenne ich, aus meinem eigenen Non-Fiction-Buch zu diesem Thema. Aus ökonomischer Sicht ist es nur eine Frage der Zeit, wann wir mit solarem Geoengineering beginnen. Wir sollten zumindest in diese Richtung forschen, um mehr zu wissen und dann informierter und demokratiepolitisch zu entscheiden, ob und wie Geoengineering tatsächlich auch Teil der Lösung ist. Aber die erste Antwort ist das bestimmt nicht. Kohlenstoffentfernung ist die Fettabsaugung, solares Geoengineering das planetare Schmerzmittel. Diät und Bewegung – CO2 erstmals zu reduzieren – ist natürlich immer noch die viel bessere Lösung, die uns allen ein längeres, glücklicheres Leben beschert.
Gernot Wagner ist Wirtschaftswissenschaftler und lehrt Klimaökonomie an der Columbia Business School in New York. Er ist der Gründungsdirektor des Harvard Solar Geoengineering Research Program, unterrichtete an der Harvard University und der New York University. Wagner war Lead Ökonom bei der Umweltorganisation Environmental Defense Fund und einer von sechs Autoren des Emissionshandels-Handbuchs der Weltbank. Für den Pragmaticus schrieb er 2022 einen Beitrag zum Thema Geoengineering.
“Geht Klimapolitik auch ohne Verbote?” Gespräch mit Andreas Schnauder (30. August 2023).