Gespräch mit Christoph von Eichhorn
Gernot Wagner sitzt vor seinem Whiteboard in Manhattan, auf dem komplizierte Formeln aufgemalt sind. In der Theorie sei alles ganz einfach, sagt der 43-Jährige, da wäre der Klimawandel wohl längst gestoppt, indem man nüchtern die Kosten der Erderwärmung gegen die ihrer Bekämpfung abgewogen hätte. Doch das Wissen darum reiche in der Praxis leider nicht aus. Deshalb beschäftigt sich Wagner seit Jahren auch mit
Geoengineering, der Idee, mit technischen Mitteln die Erde zu kühlen. Wagner hat an der Harvard University das dortige Geoengineering-Forschungsprogramm mitbegründet und zuvor für die US-Umweltorganisation Environmental Defense Fund (EDF) gearbeitet. Der gebürtige Österreicher lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten in den USA, seinen Akzent hat er sich aber bewahrt. Zuletzt ist von ihm das Buch „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln“ (Oekom-Verlag) erschienen.SZ: Es wird immer deutlicher, wie stark der Klimawandel Menschenleben bedroht, etwa durch Hitzewellen oder verschärfte Extremwetterereignisse wie zuletzt in Libyen. Wäre es da geboten, möglichst schnell die Atmosphäre mithilfe von Geoengineering zu kühlen?
Gernot Wagner: Nein, soweit sind wir derzeit nicht.
Warum nicht?
Dazu vielleicht eine medizinische Analogie: Ist der Planet eher wie eine 15-Jährige, die Sport treibt, richtig isst, nicht raucht
und ein gesundes Leben vor sich hat? Oder ist der Planet eher der fettleibige 75-jährige Lungenkrebspatient im Endstadium? Geoengineering – solares Geoengineering – ist sozusagen die planetare Chemotherapie, oder besser, das planetare Schmerzmittel, das es dem 75-Jährigen ermöglicht, wieder Sport zu betreiben. Unser Planet im Hier und Jetzt ist aber eher der mittelfitte 65-Jährige, der noch keine Chemotherapie braucht. Soll heißen: Haben wir eine moralische Obligation, Geoengineering sofort anzuwenden? Nein. Sollen wir es erforschen? Ja, klar.
Volltext:
“Geoengineering ist einfach zu verlockend” Gespräch mit Christoph von Eichhorn, Süddeutsche Zeitung (30. September 2023).