In Davos treffen sich die Menschen, die das Geld und die Macht haben, wirklich etwas für das Klima zu bewegen: zum Beispiel, indem sie dringend nötige Investitionen in neue Technologien forcieren, oder indem sie die noch teure Technik als erste anwenden. Sie können es sich leisten.
Wieder einmal versammeln sich die Reichen und Wichtigen in Davos, zusammen mit jenen, die ihre Nähe suchen. Wieder einmal steht das Klima hoch oben auf der Agenda des Weltwirtschaftsforums. Und erneut ist es leicht, darüber zu witzeln.
Milliardäre im Privatjet; Konzernchefs mit treuhänderischer Verantwortung gegenüber ihren Aktionären, die das soziale Unternehmertum preisen: Ausgerechnet die globale Elite – die per Definition am meisten vom Status Quo profitiert – mahnt in Davos radikale Veränderungen an. Da scheint Zynismus angebracht.
Davos allein kann das Klima nicht retten, aber ohne Davos geht es auch nicht. Denn hier nehmen die Mächtigen der Wirtschaft Einfluss auf die globale Transformation – so wie sie das auch an anderen Orten tun. Zum Beispiel auf der COP27. Die über 600 registrierten Lobbyisten der Öl- und Gas-Industrie bei den UN-Klimagesprächen in Sharm el-Sheikh sind für mich vor allem eines: ein Zeichen, dass es tatsächlich um viel geht. Glaubt wirklich jemand, dass die Exxons und Saudi Aramcos der Welt ohne die COP27 keinen Einfluss auf die Klimapolitik nehmen würden?
Gegen die Verzögerungstaktik
In Davos waren Konzernspitzen und deren Finanziers immer schon stark vertreten, die prominentesten Exponenten aus Zivilgesellschaft und Politik ebenso. Das Klima spielte schon länger eine Rolle. Vertreter von Umweltschutzgruppen und Klimaforschung waren schon in Davos, bevor Greta Thunberg im Jahr 2019 die versammelte Prominenz warnte: „Our house is on fire!“ – „Unser Haus brennt!“
Inwieweit die Teilnehmer des Forums diese Einschätzung teilen, ist eine andere Frage. Dabei ist mittlerweile nun wirklich (fast) allen klar, dass Klimaschutz nicht eine Frage des „ob“ sondern des „wann“ und „wie“ ist. Klar ist auch, dass jene, die von Klimaschmutz profitieren, im Grunde nur auf Verzögerung setzen müssen. Auch sie sind in Davos ebenso wie etwa bei der COP27. Es gehört klarerweise zu ihrer Taktik, dass sie die Treffen für ihre Lippenbekenntnisse als prominenten Hintergrund nutzen.
Die Aufgabe für den Rest von uns ist, gegenzusteuern. Der Grat zwischen produktivem Engagement der Unternehmen und reinem Greenwashing ist schmal; Verzögerungstaktiken gibt es zur Genüge. Aber sie alle laufen auf ein ähnliches Argument hinaus: „Kein Grund für radikale Schritte jetzt. Neue Technologie wird’s schon richten.“
Der „freie“ Markt rettet uns nicht
Dass das nur teilweise stimmt, ist schon lange klar. Natürlich brauchen wir im Kampf gegen den Klimawandel neue Technologien. Aber zurücklehnen und auf sie warten allein reicht nicht aus. Damit sie ihre Wirkung entfalten können, müssen sie selbstverständlich von – auch radikalen – politischen Schritten begleitet werden.
Ein Beispiel: Die Solarenergie ist mittlerweile die billigste Stromquelle der Geschichte, wie die Internationale Energieagentur bereits im Jahr 2020 erklärte. Und ja, liebe Neinsager, das beinhaltet die Tatsache, dass die Sonne zwischen den Polarkreisen nie 24 Stunden lang scheint. Dennoch hängt die Welt nach wie vor stark an fossilen Energien – unter anderem, weil über 90 Prozent der globalen Kohlekraftkapazitäten durch langfristige Verträge, die oft zwanzig Jahre oder länger laufen, vom Wettbewerb auf dem Markt abgeschottet sind.
Ein anderes Beispiel: Für vergleichsweise umweltfreundliche Flüssigkraftstoffe, die sogenannten E-Fuels, kann bestehende Infrastruktur genutzt werden. Das erschwert die Einführung von strombasierten Lösungen, etwa batteriebetriebene Elektromobilität oder mit Strom betriebene Heizungen, obwohl diese die Energie rein physikalisch fünfmal so effizient nutzen.
Der sogenannte freie Markt, auf dem sich die beste Technologie von selbst durchsetzt, ist also ein Mythos. Wenn jede Tonne Kohle und jedes Fass Öl mehr an externen Kosten verursachen, als sie an Wertschöpfung zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, ist klar, dass Marktkräfte in die falsche Richtung zeigen. Es ist wichtig, das so direkt zu sagen. Auch wenn es jenen nicht gefallen kann, die durch das Verbrennen fossiler Energieträger fette Privatgewinne einstreichen, während die Gesellschaft die Kosten trägt.
Der Technologieoptimismus von Davos
Hier treffen die Spitzengespräche in Davos auf die harte interessenspolitische Realität. Denn um Politik geht es am Ende natürlich auch dort – und damit um die Frage, wie jemand, der sich in Davos für den Klimaschutz einsetzen möchte, eine möglichst große Wirkung erzielen kann. Letztlich muss das Ziel sein, Ansatzpunkte zu finden, um einen tatsächlichen Wandel in die Wege zu leiten.
In Davos kann man zu diesem Zweck besonders wirksame Hebel ziehen, denn dort treffen sich Menschen, die das Geld und die Macht haben, wirklich etwas zu bewegen. Das beginnt schon bei der Anreise. Wie wäre es beispielsweise, nur solchen Privatjets eine Landeerlaubnis zu erteilen, die ausschließlich mit nachhaltigem Kraftstoff unterwegs sind?
Das mag zunächst klingen wie Greenwashing, vielleicht sogar wie ein schlechter Scherz. Aber die nachhaltigen Kraftstoffe sind nur ein Beispiel für den technologischen Optimismus, der die Treffen in Davos prägt, und für die neuen Technologien, die wir benötigen, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Beispiel CO2-neutrales Flugbenzin
Ohne nachhaltige Kraftstoffe wird es unmöglich sein, den globalen Flugverkehr CO2-neutral zu gestalten. Noch sind diese Kraftstoffe sehr teuer: Für einen Transatlantikflug in der Economy-Class beträgt der Aufschlag etwa 300 Euro. Freiwillig zahlen die wenigsten Kunden so viel. Und dennoch sind nachhaltige Kraftstoffe die große Hoffnung der Fluglinien.
Deshalb bedarf es der Politik, um die nötigen Investitionen in neue Technologien zu forcieren. Jetzt. Nur dadurch werden sie billiger, wie etwa auch das Beispiel Solarenergie zeigt. Und wie anfangs bei der Solarenergie, sind auch hier die Reichen gefragt – genau die, die sich in Davos treffen –, die noch relativ teure Technologien als erste anzuwenden.
Natürlich wären etwa Nacht- und Hochgeschwindigkeitszüge dem Fliegen vorzuziehen, aber manche Strecken lassen sich mit Zügen eben nicht überwinden. Am Ende geht es, wie so oft, um die richtige Balance zwischen Verhaltensveränderungen und neuen Technologien, individuellen Schritten und politischen Veränderungen, Energiesparen und Investitionen in CO2-arme Energiequellen. Es geht um die große Transformation.
Wer aus dieser Transformation als Gewinner hervorgeht und dann in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren in Davos sein wird, lässt sich kaum absehen. Aber dass es immer irgendwo ein solches Treffen geben wird, ist klar. Umso wichtiger, es für das Klima zu nutzen. Und mit ein bisschen Glück wird das Forum unterm Strich ein klein wenig dazu beitragen, dass der Ort Davos auch in dreißig Jahren zu dieser Jahreszeit noch kalt und verschneit sein wird.
Gernot Wagner ist Klimaökonom an der Columbia Business School und Autor von „Geoengineering: the Gamble“ (Polity, 2021), ab 7. Februar auch erhältlich auf Deutsch unter dem Titel „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln? Das riskante Spiel, mit Geoengineering die Klimakrise aufhalten zu wollen“ (oekom Verlag, 2023).
First published on 12 January 2023 by Climate.Table #22.