Klimaschock Gespräch mit Alois Pumhösel
Interview in der österreichischen Tageszeitung Der Standard.
STANDARD: Sie sagen, aus wirtschaftlicher Sicht ist der Klimawandel eine Frage des Risikomanagements. Welche Schlüsse sollten wir daraus ziehen?
Gernot Wagner: Was wir über den Klimawandel wissen, ist schlimm genug. Selbst die Durchschnittswerte hätten uns vor langer Zeit zum Handeln zwingen müssen. Noch viel schlimmer sind aber jene Dinge, die wir nicht wissen – etwa wie sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Erde verteilen. Befasst man sich nur mit Durchschnittswerten, vergisst man, dass es eine große Chance gibt, dass es viel schlimmer wird. Die Chance einer endgültigen Erhöhung von sechs Grad liegt bei zehn Prozent – das sollte erst recht motivieren, etwas zu tun.
STANDARD: Warum ist es dennoch so schwierig, die Gesellschaft zu motivieren, gemeinsam gegen den Klimawandel zu kämpfen?
Wagner: Für Menschen in Europa und Nordamerika ist das Leben ziemlich gut. Wir haben ein besseres Leben, als wir es ohne den Ausstoß von CO2 haben würden. Wenn man schon fett und glücklich ist, warum sollten wir etwas ändern? Aber natürlich stimmt das so nicht. Wir müssen handeln.
STANDARD: Sie sagen, der Einzelne kann wenig tun, große Konzerne dagegen viel. Sollen wir uns zurücklehnen und die Konzerne machen lassen?
Wagner: Die Frage ist, wie man zu weiteren, nötigen Schritten kommt. Ich hab meinen Sohn heute mit dem Rad zur Schule gebracht und war damit schneller als mit Auto oder Bus. Im Endeffekt gibt es aber viel mehr Autofahrer. Sie alle aufs Rad zu locken wird kaum funktionieren. Dass sie auf selbstfahrende Elektroautos umsteigen, ist um einiges realistischer. Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen, die Wirtschaft wird’s richten. Es gibt noch immer genug Möglichkeiten, Geld zu verdienen, ohne klimafreundlich zu sein. Es benötigt also Politik. Man könnte zum Beispiel Benzinautos aus Städten verbannen, um den Profitgedanken in eine andere Richtung zu lenken.
STANDARD: Im Moment gibt es noch Subventionen für Ölheizungen.
Wagner: Leider. Wir gehen nach wie vor teilweise in die falsche Richtung. Förderungen für Ölheizungen sind ein vollkommener Irrsinn. Es gibt keinen Grund dafür, außer dass die Ölwirtschaft Interesse hat, sie beizubehalten.
STANDARD: Schaffen wir eine Veränderung allein mit Technik?
Wagner: Natürlich können wir uns nicht nur auf Technik verlassen. Ein zielführender Impuls wäre ein Preis auf CO2-Emissionen. Das stellt einerseits sicher, dass umweltschonende Innovationen zu besserer Technik führen, andererseits würde uns das dazu bewegen, uns anders zu verhalten.
STANDARD: Wie sollte diese CO2-Preisgestaltung aussehen?
Wagner: Sie sollte bei mindestens 30 bis 40 Euro pro ausgestoßene Tonne CO2 liegen, um die tatsächlichen Kosten selbst zu tragen. Als Durchschnittseuropäer stoßen wir um die zehn Tonnen pro Jahr aus. In der EU gibt es ja bereits ein Emissionshandelsgesetz. Der Preis liegt hier bei zehn Euro – ein guter Anfang, aber nicht genug.
STANDARD: Das heißt, die Angelegenheit müsste in erster Linie über den Markt geregelt werden. Bewusstseinbildung oder ethische Argumente helfen nicht?
Wagner: Natürlich benötigt man ethische Impulse, um die politischen Prozesse zu finden. Die Politik macht das nicht von selbst. Dafür braucht es jene, die sich engagieren. Wir müssen moralisch handeln und wählen, um die richtige Politik in die Wege zu leiten.
STANDARD: Sie forschen in Harvard im Bereich Geo-Engineering, also zu Umwelteingriffen gegen den Klimawandel. Was sind die Hintergründe?
Wagner: Im Prinzip wissen wir, dass es funktioniert. Vulkanausbrüche zeigen es. Als 1991 der Pinatubo auf den Philippinen ausgebrochen ist, ist genug Sulfat in die Stratosphäre gelangt, dass durch die geringere Sonneneinstrahlung die globale Durchschnittstemperatur 1992 um ein halbes Grad gesunken ist. Wir sollten das natürlich nicht so nachmachen, aber erforschen müssen wir es. Beim Geo-Engineering ist es genau umgekehrt wie bei der CO2-Reduktion: Einzelaktionen könnten hier viel bewegen. Also müssen wir etwa sicherstellen, dass Einzelaktionen nicht oder nur offen und transparent stattfinden, damit es zu keinen Klimakriegen kommt.
STANDARD: Wäre die Technik nicht ein Freibrief, sich um den CO2-Ausstoß nicht mehr zu scheren?
Wagner: Das ist tatsächlich vielleicht das größte Problem. Aber man kann es auch als Analogie zu einer Chemotherapie sehen. Man würde auch nicht zum Rauchen anfangen, nur weil ein experimentelles Medikament gegen Lungenkrebs bei einer Laborratte wirkt. Nur weil an dieser globalen Chemotherapie geforscht wird, heißt das nicht, dass der CO2-Ausstoß nicht reduziert werden muss.
Gernot Wagner (36), in Niederösterreich geboren, studierte Wirtschaft, Politik- und Umweltwissenschaft an der Harvard University und Wirtschaft in Stanford. Acht Jahre war er bei der Umweltorganisation Environment Defense Fund. 2015 schrieb er mit Harvard-Ökonom Martin Weitzman das Buch “Climate Shock”. Seit kurzem forscht er mit Klimatologe David Keith in Harvard in Sachen Geo-Engineering.
Interview mit Alois Pumhösel, Der Standard, 2. Juni 2016.