Die Macher: „Passt dein ego da rein?”

Sommer 2022

Ganz ehrlich: Was finden Sie bewundernswert: Den CEO, der seinen brummenden Motor am XL-Parkplatz startet, oder jenen, der mit dem Fahrrad um die Ecke biegt?

Vor einigen Jahren hätte die Antwort wohl noch anders ausgesehen. Aber nicht dur das Klima wandelt sich, auf die Wertewelt. Und wir wetten jetzt mal, die meisten finden Menschen, die nachhaltig leben, sehr viel anziehender als jene, die darauf pfeifen. Klar ist aber auch: Nicht immer ist die Entscheidung für die nachhaltigere Variante eine einfache. Manchmal ist sie verdammt teuer. Genau deshalb gehe es jetzt darum, dass jene, die es sich leisten können, den ersten Schritt setzen, erzählt Klimaökonom Gernot Wagner im Interview of Seite 10. Einer davon ist Nico Rosberg. Wenn Vorbilder wie er zeigen, dass nachhaltige Alternativen nichts mit Verzicht zu tun haben, sondern mindestens genauso toll sind, dann kann das einen Effekt haben.

Der Erste, der tanzt, sieht noch aus wie ein Verrückter!

Wäre der Klimawandel ein Berg, dann würden alle Achttausender neben ihm wie komfortable Hügel erscheinen. Doch schon Arnold Schwarzenegger sagte, dass „Taking Climate Action“ die beste Strategie ist, um mit ihm fertig zu werden. Über die Frage nach dem Wie, inspirierende Akteur:innen und grüne Sexyness, die den Klimaschutz auf die Überholspur bringen.

Gernot Wagner schiebt sein Rad durch New York. Er ist auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz, der Columbia Business School. Neben dem 42-jährigen wogt das Leben der Metropole, Autos hupen, Menschen eilen vorbei. Wir sind verabredet zum Zoom-Meeting – dank heutiger Technik via Smartphone und Fahrradhalterung eine faszinierend einfache Angelegenheit.

„Herr Wagner, kann eine Einzelperson überhaupt etwas bewirken?“ Der Klimaökonom bleibt kurz stehen. „Unsere Entscheidungen bestimmen über das eigene Leben hinaus den Lauf der Dinge, das muss uns klar sein. Wo ich wohne, wie ich mir mein Leben einrichte, wie ich von A nach B komme – das hat Auswirkungen. Wer in der Stadt wohnt, spart 50 Prozent bis zu einem Drittel von den Emissionen eines Menschen, der in der Vorstadt wohnt! Das Klima merkt es nicht, wenn ich jetzt zu Fuß durch New York gehe. Die Summe der Entscheidungen von acht Milliarden Menschen jedoch schon.“

Das neugebaute Einfamilienhaus auf dem Acker mit Doppelgarage und Pool hat einen großen Einfluss auf Lebensraum und Klima. „Der Möbelmarkt und die Poolfirmen, klar, die freuen sich. Doch die neuen Häuser im Grünen sind nicht grün“, betont der Klimaökonom, der die Stadt New York in Umweltfragen berät. Österreich ist europäischer Spitzenreiter beim Flächenverbrauch. Sechzehn Fußballfelder Boden pro Tag werden für Immobilien und Straßen verbaut. Wie können wir nachhaltiger handeln?

„Indem man erkennt, dass nicht jede persönliche Handlung gleich viel wiegt.“ Wer etwa Nein zum Plastiksackerl sagt und dann in ein Flugzeug steigt, hat nichts für das Klima getan. Wer jedoch zu einem Ökostromanbieter wechselt, sein Haus dämmt, die eigene Mobilität überdenkt und weniger Fleisch isst, verkleinert den eigenen ökologischen Fußabdruck massiv. Noch schwimmt man damit gegen den gesellschaftlichen Strom.

WIE WIRD EIN NACHHALTIGER LEBENSSTIL SEXY GENUG

Ein Faktor ist die Bequemlichkeit. „Jetzt komme ich gerade am Bahnhof vorbei“, Gernot Wagner schwenkt die Kamera und zeigt auf die neue Moynihan Train Hall an der 8th Avenue. Das Zugfahren hat sich auch in Österreich zu einem perfekten Kombipartner in der nachhaltigen Mobilität entwickelt. „Es gibt die E-Scooter und Klappräder, mit denen man bequem in Kostüm und Anzug in die Arbeit kommt. Beides lässt sich im Zug mitnehmen.“ Befeuert durch hohe Treibstoffpreise, Staus und ein bewussteres Denken schmelzen alteingesessene Gewohnheiten dahin. Zeitgleich wächst eine neue Generation heran, die massiv von den klimatischen Auswirkungen betroffen sein wird. Sie verschafft sich weltweit als „Fridays for Future“ Gehör. Und doch, irgendwie kam der Klimaturbo bislang nicht in Fahrt. Schmelzende Polkappen, Hitzerekorde, abgeholzte Regenwälder – die negativen Schlagzeilen scheinen die Menschen nicht zu beeindrucken. Filmstar und Klimaaktivist Arnold Schwarzenegger zieht einen Vergleich mit der Filmwelt, wenn er sagt, dass niemand in einen Film ohne Hoffnung gehen wolle. Es brauche die Erfolgsgeschichten, die Mut machen. Solche, wie es sie bei seiner jährlichen Klimakonferenz, dem Austrian World Summit in Wien, zu hören gibt.

DER TURBO FÜR DEN GRÜNEN WANDEL

Welche Knöpfe muss man noch drücken, um aus einigen Pionier:innen möglichst schnell eine nachhaltige Gesellschaft zu schaffen? „Das ist die Billionendollarfrage schlechthin“, schmunzelt Gernot Wagner. „Diese Frage entscheidet über Milliarden Tonnen von eingespartem CO2 und viel Geld. Der wirkliche Leader einer Bewegung ist ja oft nicht der Erste. Sagen wir, jemand fängt mitten am Platz zu tanzen an. Er sieht aus wie ein Verrückter. Sobald aber eine zweite Person dazukommt, eine dritte und vierte Person, dann kommen alle“, erklärt der Klimaökonom. So kann der grüne Wandel funktionieren.

„Das Wichtige ist, dass die Trendsetter:innen sichtbar sind und ein einflussreiches Sprachrohr benutzen. Das Minihaus am Cover von Architectural Digest zeigt Wirkung; die berühmte Drei-Sterne-Köchin, die öffentlich begeistert von ihrem Induktionsherd ist, ebenso.“ Es sorgt auch für Aufsehen, wenn der deutsche Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg sein Greentech Festival im eleganten Tuxedo aus Biosamt eröffnet, mit dem Zug fährt oder Ökostrom bezieht – und darüber spricht. Mit seiner Botschaft erreicht er Millionen von Menschen und dank seiner Popularität wird aus dem Ökothema ein Must-have.

Nun braucht es die sogenannten „Next Adopters“. Sie folgen den Ersten, weil sich deren Entscheidungen vernünftig und praktisch anfühlen und weil man selbst zu den Ersten gehören will. „Wenn es gut genug für Nico Rosberg ist, dann ist es auch gut genug für mich“, so das Motto. Der weitere Schritt kommt von der Politik, indem sie den gesetzlichen Rahmen schafft und ökologische Maßnahmen fördert.

Doch noch hat die Bewegung nicht den kritischen Punkt erreicht, um ein Selbstläufer zu werden – denn irgendwann kommt man zur Einsicht, dass es rein rechnerisch mehr braucht als ein paar klimafreundliche Produkte und neue Gewohnheiten. Und ein Unwort der Konsumgesellschaft bahnt sich den Raum: Verzicht.

PASST UNSER EGO AUCH IN KLEINERE AUTOS UND HÄUSER?

„Hallo, hier bin ich mit meinem 5.000-Dollar-Rad. Ich bin gerade schneller und besser in der Stadt unterwegs als die Autos neben mir. Ist das nicht egoistisch?“ Gernot Wagner lacht. „Und darum geht es. Es geht nicht darum, das Ego abzuschalten, sondern darum, es in neue, klimafreundliche Bahnen zu lenken.“ Heutige Gewohnheitsänderungen sind im Übrigen klein im Vergleich zu den massiven Einschränkungen, die die nachkommende Generation auf sich nehmen muss.

ÖKOLOGISCH VERSUS LEISTBAR

Bleibt die Tatsache, dass sich nicht jede:r eine PV-Anlage auf das Dach montieren lassen oder ein Elektroauto kaufen kann, das doppelt so viel kostet wie ein herkömmlicher PKW. Auch faire Mode und Biolebensmittel haben ihren Preis. „Um die nötige Lernkurve hinaufzuklettern und die Kostenkurve herunterzurutschen, geht es tatsächlich darum, dass die, die es sich leisten können, den ersten Schritt setzen. Die Kosten sinken mit einer größeren Stückzahl und erleichtern den Einstieg für mehr Menschen“, so Gernot Wagner. Das klimafreundlichere Leben muss günstiger und bequemer werden als das unökologische, dann setzt es sich durch. Und es braucht die Player:innen quer durch alle Bereiche – vom CEO bis zu den Aktivist:innen, von der Politik und den Stars bis zu den Menschen in der Mitte. Dann wird aus dem Tanz weniger „Verrückter“ die große Party, die unsere Nachkommen in den nächsten Jahrzehnten für ihr gutes Leben brauchen.

Der Erste, der tanzt, sieht noch aus wie ein Verrückter!” von Sonja Wöhrenschimmel-Wahl, Die Macher Sommer 2022, Seiten 10-12.

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