Persönliche Bemühungen machen sehr wohl einen Unterschied, wenn sie in der Gesellschaft an Dynamik gewinnen.
German translation of “How individual actions can combat climate change” published by The Economist “By Invitation” on 10 November 2021.
Von Gernot Wagner
Es ist verlockend, die persönliche Verantwortung für die Verringerung des eigenen CO₂-Fußabdrucks von sich zu weisen. Schließlich war es BP, das das Konzept Anfang des Jahrhunderts populär machte und allen sagte, es sei Zeit für eine „CO₂-Diät“. Das Unternehmen wusste genau, wie unmöglich das war, ähnlich wie sein eigenes Ziel, „beyond petroleum“ zu gehen. Eine drastische Reduzierung der Emissionen erfordert ganz neuartige Geschäftsmodelle, technologische Fortschritte, neue Finanzierungsanreize und ambitionierte Politik – zusätzlich zu individuellen Anstrengungen.
Nicht alle persönlichen Handlungen sind gleich. Ein Plastiksackerl an der Kasse abzulehnen mag fromm erscheinen, das Klima wird es kaum retten – vor allem, wenn man die losen Produkte dann zum Sitz im Flugzeug trägt. Perspektive ist wichtig, ebenso wie tatsächliche Emissionsreduzierungen. Fluglinien bieten aus gutem Grund an, Emissionen zu kompensieren: Passagiere fühlen sich besser und fliegen mehr. Die Illusion des Fortschritts, die durch kleine, einzelne Handlungen entsteht, ist eine kognitive Verzerrung, die oft echten Fortschritt untergräbt.
Damit Einzelaktionen, so klein sie auch sein mögen, tatsächlich Wirkung zeigen, geht es vor allem um die gesamte Dynamik, wie etwa beim Radfahren in Städten. Radfahrer haben seit jeher mehr und sicherere Radwege gefordert, was wiederum zu mehr Radfahrern führt – tugendhafte Radfahrer führten zu einem tugendhaften Zyklus von politischem Push und Pull. Amsterdam, Kopenhagen erreichten diesen Punkt, weil frühe Fahrradaktivisten sicherere Straßen forderten. Die Städte begannen früher als andere mit der Abkehr vom autozentrierten Straßendesign. Paris und andere Städte folgen nun diesem Beispiel, was zum Teil auf Covid-19 und allgemeine Überlegungen zur Nutzung des begrenzten öffentlichen Raums zurückzuführen ist.
CO₂ anderswo zu reduzieren erfordert ein ähnliches Umdenken. Es bedarf frühzeitiger Anwender grüner Produkte, um den Prozess zu starten. Das inspiriert eine Welle anderer, die wiederum die Dynamik generieren, die benötigt wird, um größere Wellen zu schlagen. Dabei geht es um einen sich selbst verstärkenden Kreislauf: Produkte werden besser und billiger und damit gefragter.
Städte spielen eine große Rolle, wenn es um individuelle Effektivität geht. Allein durch das Leben in New York, als typischer New Yorker, halbiert der durchschnittliche Haushalt die CO₂-Emissionen im Vergleich zum Leben in einem Einfamilienhaus in den Vororten. Etwas Ähnliches passiert etwa in Wien verglichen mit dem österreichischen Durchschnitt. Die Gründe sind einfach: kleinere Räume, kombiniert mit kürzeren Arbeits- und Freizeitwegen. Bedeutet das ein persönliches Opfer? Nach den atemberaubenden Immobilienpreisen in New York und anderen Großstädten zu urteilen, scheinbar nicht.
Dabei gibt es etliche falsch ausgerichtete Anreize, die dazu führen, dass der Wohnraum eher maximiert als optimiert wird. Von mehr Quadratmetern profitieren quasi alle – vom Immobilienmakler über die Bank bis zum Scheidungsanwalt. Es hilft nicht, dass die Wohnungsgröße ein öffentliches Signal ist (und auf Instagram leicht sichtbar), während eine längere Fahrt privat ist (und kaum von jemand konsequent täglich via Instagram Live ausgestrahlt wird). Idealerweise würden gezielte Maßnahmen das Leben in der Stadt für Familien noch attraktiver zu machen versuchen, was tatsächlich individuelle CO₂-Emissionen senken würde.
Der erste Schritt, der wichtigste
Glücklicherweise verbessern viele der Schritte, die das urbane Leben verbessern, auch die städtische Klimabilanz. Derzeitiges CO₂-effizientes Leben reicht jedoch nicht aus. Städte müssen außerdem Programme zur Dekarbonisierung von Gebäuden und zur Verbesserung des Verkehrs entwickeln. In urbanen Zentren wärmt die Dämmung eines Gebäudes die Wohnungen vieler Familien, und gute öffentliche Verkehrsangebote reduzieren sowohl lokale Umweltverschmutzung als auch CO₂-Emissionen.
Dabei müssen die Reichen mit gutem Beispiel vorangehen. Ob als Länder oder Städte, wohlhabende Orte sollten Vorreiter bei der Dekarbonisierung sein, beispielsweise bei der Isolierung von Häusern. Ein umweltfreundlicheres Zuhause ist auch zugleich ein lebenswerteres. Zugige Fenster und schlecht gedämmte Wände sorgen für lausiges Wohnen. Gasleitungen direkt in die Wohnung zu führen ist weder grün noch gesund. Es ist auch gänzlich unnötig, da Wärmepumpen und Induktionsherde teurere, aber umweltfreundlichere Alternativen bieten. Hypereffiziente Haushaltsgeräte lassen sich leicht an diejenigen verkaufen, die sie sich leisten können.
Manche dieser Eigeninitiativen können tatsächlich kostspielig sein. Obwohl es mittlerweile Induktionsplatten für unter 100 Euro gibt, bleibt ein vollständig elektrifiziertes Haus, das kein Gas zum Heizen verwendet, oft ein Luxus. Die Aufgabe von Architekten, Designern und Bauherren besteht darin, diejenigen, die es sich leisten können, von der Investition zu überzeugen. Die Aufgabe für politische Entscheidungsträger und Stadtplaner ist klar: deren schnelle Einführung subventionieren, während die Welt die Lernkurve CO₂-freier Technologien hochklettert und die Kostenkurve nach unten rutscht. Ja, das würde bedeuten, Dinge zu subventionieren, die Wohlhabende ohnehin kaufen würden. Aber Politik könnte leicht gezielter sein. Auf jeden Fall lassen sich ambitionierte Subventionen durch das Erreichen grüner Ziele rechtfertigen.
Zeit ist der wesentliche Faktor. Es ist eine Sache für eine Regierung, bis zum Ende des Jahrzehnts erhebliche CO₂-Einsparungen zu versprechen. Es ist eine gänzlich andere zu erkennen, dass die heutigen Lebens- und Mobilitätsentscheidungen Emissionen für die kommenden Jahre mit sich bringen. New York City hat bestehende Gesetze, um CO₂-Emissionen in allen großen Gebäuden bis 2030 um 40% zu senken. Diese Schritte müssen jetzt beginnen. Es dauert schließlich Jahre, Pläne zu erstellen, die Finanzierung sicherzustellen, Genehmigungen einzuholen, Auftragnehmer zu beauftragen und dann die Renovierungsarbeiten durchzuführen.
Push von oben, Pull von unten
Entscheidend ist, die richtige Balance zwischen einem regulatorischen Push von oben und einem individuellen Pull von unten zu finden. So wie die richtige Sequenzierung der öffentlichen Politik es erfordert, zuerst erneuerbare Technologien voranzutreiben, um später die Kosten der CO₂-Emissionen zu bepreisen, müssen auch engagierte Einzelpersonen der Ausgangspunkt für eine umfassendere grüne Politik sein. Sobald Menschen einer grünen Sache zugestimmt haben, ist es einfacher, sie dazu zu bringen, andere zu akzeptieren. (In der Psychologie ist es die Fuß-in-der-Tür-Theorie; oder: Wer A sagt, muss auch B sagen.)
Wie bei den meisten Dingen ist der erste Schritt oft der wichtigste. Die fundamentale Dekarbonisierung der Wirtschaft wird alle und alles betreffen. Diejenigen, die die Wahl haben, sollten die Gelegenheit ergreifen und jetzt entscheiden, wo und wie sie leben möchten, basierend auf der grüneren Welt von morgen und nicht auf dem schwindenden fossilen Zeitalter von heute.
Gernot Wagner (*1980) ist austroamerikanischer Klimaökonom an New York University. Er schreibt die „Risky Climate“-Kolumne für Bloomberg Green und ist der Autor von vier Büchern, wie zuletzt „Stadt, Land, Klima“ (Brandstätter, 2021). Dieser Text erschien erstmalig auf Englisch „By Invitation“ im „Economist“-Magazin unter dem Titel: „Gernot Wagner on How Individual Actions Can Combat Climate Change“.