Falter: “Das sind die Trends, die Hoffnung machen”

Gespräch mit Andreas Sator

Der austro-amerikanische Ökonom Gernot Wagner über internationale und österreichische Klimapolitik – und darüber, was ihn optimistisch stimmt

Für Pessimismus sei es zu spät. Das sagte der Klimaökonom Gernot Wagner bereits 2017. Der erfolgreiche Auslandsösterreicher forscht an der Columbia Business School – und hat Lösungen im Fokus. Der Falter erreicht ihn virtuell in seiner 70-Quadratmeter-Wohnung in Manhattan, in der er mit seiner Frau, zwei Kindern und Hund lebt. Und zwar so klimafreundlich, wie es nur geht: gut gedämmt, Energiespar-Kühlschrank, die Wärmepumpe ersetzt die Gasheizung. Wagner ist Vegetarier, hat keinen Führerschein und fährt Rad. Die wenigsten Leute leben wie er, trotzdem machen ihn viele Trends auf der Welt optimistisch.

Falter: Herr Wagner, wir reden beim Thema Klimawandel gerne über die schlimmen Dinge, die passieren. Was hat Ihnen denn heuer Mut gemacht?

Gernot Wagner: Ich lebe in den USA. Meine Frau ist Abtreibungsärztin. Also Probleme gibt es genug. Optimistisch beim Klima machen mich vor allem die fundamentalen technologischen Trends. In Deutschland gibt es mittlerweile Unternehmen, die Solaranlagen als Gartenzäune verkaufen. Die sind noch nicht billiger als Holz, aber auch das ist nur eine Frage der Zeit. Die Inputs für Solarenergie – Sonne, Sand und die menschliche Vorstellungskraft – sind praktisch unbeschränkt. Die Frage ist: Was machen wir mit dem billigen Strom? Unternehmen werden nicht bankrott gehen, weil die Energiepreise so hoch sind, sondern weil sie so niedrig sind. Weil ihn jeder zuhause herstellen und speichern kann. Auch Batterien werden rasant billiger. Das macht Mut.

Und politisch?

Wagner: Was mich optimistisch stimmt, ist, dass Städte in den USA jetzt Dinge tun, die vielleicht ohne eine zweite Trump-Präsidentschaft nicht passiert wären. Wenn in der nationalen Politik das Pendel in die eine Richtung schwingt, schwingt es lokal oft in die andere.

Wie meinen Sie das?

Wagner: New York bekommt jetzt eine Citymaut. Hier leben 20 Millionen Menschen, zwölf Millionen von ihnen aber eigentlich im „Tullnerfeld“ New Yorks, mit drei- oder viermal so hohen Emissionen. Sie alle bezahlen ab Jänner neun Dollar, wenn sie mit dem Auto nach Manhattan fahren wollen. Das bringt eine Milliarde Dollar pro Jahr, die für öffentlichen Verkehr ausgegeben werden. Und was zu weniger Verkehr, weniger Verkehrstoten, weniger Kindern, die an Asthma leiden, führt. Da tut sich in vielen Städten viel, auch in republikanischen Bundesstaaten sind die Hauptstädte links. Austin in Texas etwa.

Bleiben wir bei Dingen, die Mut machen. In China redet man von Peak Oil, also einem Höhepunkt der Nachfrage nach Öl. In Indien gibt es einen Solarboom.

Wagner: Sinopec, das große, nationale chinesische Ölunternehmen, spricht tatsächlich von Peak Oil. Das passiert schneller als angenommen – so wie das Sinken der Emissionen. Die Hälfte der neu angemeldeten Autos in China sind schon E-Autos oder Hybrid-Fahrzeuge. BYD, der größte chinesische Autobauer, hat nicht nur in Amstetten eine Verkaufsstelle, BYD ist global tätig. Einen BYD Seagull bekommt man in China mittlerweile um 10.000 Euro. Der ist auch gleich um einiges besser als die typischen amerikanischen Autos, vielleicht sogar besser als die deutschen.

Die Emissionen sollen in China schon fallen.

Wagner: Im letzten Fünfjahresplan war veranschlagt, dass die Emissionen ab 2030 fallen sollen. Wenn etwas in China im Fünfjahresplan steht, dann passiert es auch. Mittlerweile wissen wir, dass die Emissionen in China 2025 oder spätestens 2026 ihren Höhepunkt erreichen werden und dann runtergehen.

Dabei ist China wirtschaftlich noch massiv am Aufholen. Wie gibt’s das?

Wagner: Es liegt großteils an der Solarenergie im Energiebereich und an Elektrofahrzeugen. Man kommt in der Mobilität immer besser ohne Öl aus.

Jetzt haben wir viel über Technologien gesprochen, alleine durch sie werden wir aber nicht klimaneutral. Wie sieht es mit Verhaltensänderungen aus?

Wagner: Wir wohnen in New York als Familie auf 70 Quadratmetern. Muss jeder so leben? Nein, natürlich nicht. Hat es enorme Vorteile, auch für das Klima? Ja, klar. Die Tatsache, dass das Recht aufs Einfamilienhaus und zwei Autos in der Garage quasi im österreichischen Staatsvertrag steht, ist ein Problem. Aber es gibt soziale Kipppunkte. So etwas verändert sich manchmal rasch von einer Generation zur nächsten und dann gibt es kein Zurück mehr.

Und so ein Kipppunkt zeichnet sich ab?

Wagner: Bis vor kurzem war es tatsächlich so, dass Jungfamilien raus aus der Stadt wollten. Als 18-Jähriger geht man zum Studium rein und danach wieder raus. Das ist jetzt noch teilweise so. Aber es verändert sich gerade sehr stark. Das sieht man in Statistiken und quasi überall, nicht nur Wien. Ich komme aus Amstetten. Das Faszinierendste ist wohl, was sich dort am Hauptplatz tut (er wird begrünt, verkehrsberuhigt, einige Parkplätze fallen weg, Anm.).

Unsere Ernährung trägt auch zur Klimakrise bei. In Österreich ist der Fleischabsatz pro Kopf seit 2000 von 68 Kilo im Jahr auf 58 Kilo gesunken.

Wagner: Ich bin in den 80er-Jahren aufgewachsen. Vegetarier zu sein, war schwer. Als ich meiner Mama 2009 zum ersten Mal gesagt habe, dass ich ihr Essen nicht mehr essen werde, war das radikal. Mittlerweile gibt es eine vegane Kochlehre in Österreich.

Bevor wir nur durch die rosarote Brille auf die Welt sehen, blicken wir auf Donald Trumps zweite Amtszeit. Was bedeutet Trump für die globale Klimapolitik?

Wagner: Was er für die USA heißt, ist das eine, was es für die Welt bedeutet, das andere. Die USA werden wieder aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Das ist vielleicht sogar positiv. Die Trump-Familie, die Trump-Lobbyisten werden nicht bei den Klimaverhandlungen erscheinen. Sie würden ja nichts Gutes bewirken. In China wird so das Pendel schneller in die richtige Richtung schwingen, weil es in den USA diesen Gegenpol gibt.

Aber die USA sind einer der größten Emittenten mit 13 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Was dort passiert, ist nicht egal.

Wagner: Für die erste Trump-Präsidentschaft haben Forscher berechnet, dass durch die Rücknahme von umweltpolitischen Maßnahmen 22.000 zusätzliche Menschen alleine im Jahr 2019 durch Luftverschmutzung starben. Das wird wieder passieren. Diese zehntausenden Toten sind die neue Realität und das ist verdammt schlecht. Die Emissionen werden wieder raufgehen. Das sieht man schon an den Aktienmärkten.

Inwiefern?

Wagner: Die Aktien von Ørsted und Vestas, zwei große Windkraft-Firmen, sind am 6. November um 15 Prozent eingebrochen. Es wird unter Trump keine neuen Offshore-Windanlagen geben. Trump sagt, dass diese Windanlagen Wale töten. Aber das Pendel schwingt immer auch zurück. 2016 bis 2020 war in den USA natürlich schlecht für die Klimapolitik. Aber was passierte dann? 2020 wurde Joe Biden gewählt. Und zwar mit einer Klimapolitik, die in vielerlei Hinsicht viel ambitionierter war als selbst die, mit der Bernie Sanders 2016 Präsident werden wollte. Und Sanders Politik war damals schon sehr ambitioniert. Bidens „Inflation Reduction Act“ war vielleicht sogar das weltweit ambitionierteste Klimaschutzprogramm überhaupt.

Wie wird sich Trumps Politik außerhalb der USA auswirken?

Wagner: Die Solaranlagen, die jetzt wegen der Exportzölle nicht in den USA installiert werden, werden eben woanders installiert. In Pakistan oder in Indonesien. Der indonesische Präsident hat vor zwei Wochen den Kohleausstieg seines Landes innerhalb der nächsten 15 Jahre bekanntgegeben. In den USA steigen die Emissionen durch Trump, woanders fallen sie vielleicht deshalb sogar schneller – und vielleicht fallen sie auch in den USA.

Das müssen Sie mir erklären.

Wagner: Unter Biden dürfen derzeit keine neuen Export-Terminals für Flüssiggas gebaut werden. Das Gas bleibt also in den USA. Dadurch sind die Gaspreise hier niedriger und die Emissionen höher. Die Leute installieren weniger Wärmepumpen und Solaranlagen, weil Gas billig ist. Trump wird das Verbot wahrscheinlich am ersten Tag aufheben. Innerhalb der nächsten 18 Monate wird es also neue Export-Terminals geben. Mehr Flüssiggas wird nach Europa verschifft. Europa wird weniger von Russland abhängig sein – was gut ist. In den USA steigen dadurch die Gaspreise, das senkt die Emissionen wieder. In Europa steigen sie vielleicht ein bisschen. Aber – und das ist der wichtigste Punkt – langfristig macht es kaum einen Unterschied, ob die Emissionen in den USA 2025 etwas höher oder niedriger sind. Es geht um die Trends. Und die stimmen.

Sie haben einmal gesagt, dass es ohne Trump keine Greta Thunberg gegeben hätte. Seine Ignoranz sei ein Schub für die Klimabewegung gewesen. Könnte das wieder passieren?

Wagner: 2016 kam es zu großen Protesten nach der Wahl Trumps, etwa in New York oder Washington. Auch von Wissenschaftlern und der Klimabewegung. Dieses Mal wurde mit Resignation reagiert. Das ist schlecht. Ich erwarte keine neue, globale Figur, aber dass es lokal Politikerinnen und Politiker motiviert, mehr in ihren Städten und Gemeinden zu machen. So wie New York bräuchten auch zehntausende andere Städte eine Citymaut.

Viele Trends stimmen. Aber im Jahr 2023 wurde so viel Kohle verbrannt wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen wurden dadurch verursacht. Wenn Solaranlagen so billig sind, wie kann das sein?

Wagner: Das ist natürlich verdammt schlecht. In den USA laufen noch immer um die 200 Kohlekraftwerke. Die optimistische Version: Keines dieser Kohlekraftwerke würde heute profitabel gebaut werden können. Der einzige Grund, warum sie noch laufen, ist, weil es langfristige Verträge gibt. 90 Prozent des Kohlestroms global stecken in Verträgen, die länger als 20 Jahredauern. Dabei ist Kohlestrom eigentlich teurer.

Aber es werden auch noch neue gebaut.

Wagner: China investiert nicht nur in Solaranlagen und Atomstrom, sondern auch noch in Kohlestrom. Der Energiebedarf ist extrem hoch. In Kohle wird nicht investiert, weil es so billig ist, sondern weil man das halt immer schon so gemacht hat. Man weiß, wie man das 100-Megawatt-Kraftwerk schnell finanziert und ans Netz bringt. Haushalte zahlen dadurch mehr für den Strom. Aber auch bei Kohle ist der Höhepunkt in China wohl in den nächsten zwei bis fünf Jahren erreicht. Das alleine reicht noch nicht, aber es ist der nächste, wichtige Schritt.

In Österreich wird prognostiziert, dass die Emissionen heuer um 28 Prozent niedriger sein werden als noch 2005. Der Dieselverbrauch sinkt. Ihr Resümee der vergangenen fünf Jahre österreichischer Klimapolitik?

Wagner: Es ist sehr viel passiert. Mehr, als ich erwartet hätte. Auch wenn nach der Gaskrise infolge des russischen Kriegs in der Ukraine auch Gas subventioniert wurde, was die CO2-Emissionen erhöht hat. Anfang Oktober 2021 war das Superbowl-Wochenende der österreichischen Klimapolitik: Am Freitag wurde das Klimaticket ausverhandelt, am Sonntag die CO2-Steuer. Zuerst Zuckerbrot, dann Peitsche. Die Steuer selbst kam noch mit dem Klimabonus als Kompensation, der äußerst intelligent gemacht wurde.

Inwiefern?

Wagner: Als Durchschnittswiener bekommst du 100 Euro, als Tullnerfelder 133 Euro. Ein Gstatterbodner (ein Ortsteil der steirischen Gemeinde Weng im Gesäuse, Anm.) bekommt 200 Euro. Diese 100 Euro Differenz bleiben bestehen. Wenn der Klimabonus auf 200 Euro steigt, bekommt der Gstatterbodner nicht mehr doppelt so viel, sondern 300 Euro. Langfristig schafft man so also genau die richtigen Anreize, damit Jungfamilien vielleicht ohne Auto in der Stadt wohnen.

Im Verkehr sind die Emissionen weiterhin hoch.

Wagner: Im Verkehr passiert zu wenig. Österreich außerhalb von Wien ist ein Autofahrerland. Mit der Pendlerpauschale und beim Dieselprivileg muss etwas passieren. Aber Österreich ist auch ein Bahnfahrerland und es tut sich sehr viel. Veränderung braucht Zeit. Die ÖBB hat gerade wieder Nachtzüge gekauft. Das dauert dann eben zehn Jahre, bis die fahren. Dann aber macht es Verhaltensänderungen einfacher. Der Generationswechsel macht sich mittlerweile auch schon bemerkbar. Also ob die nächste Jungfamilie das Einfamilienhaus im Grünen baut (das natürlich weder „im Grünen“ noch wirklich grün ist) oder eben ohne Auto in der Stadt wohnt. Diese Trends haben gerade begonnen, sie werden dann mittel- und langfristig die Emissionen senken.

In der Politik zählt meist der schnelle Erfolg. Die Grünen sind in den Wahlen von 14 auf 8 Prozent eingebrochen. Jetzt könnte der Klimabonus eingestampft werden.

Wagner: Es wäre politisch ein Fehler, wenn man sagt, die CO2-Steuer bleibt und der Klimabonus verschwindet. Das einzige Problem beim Klimabonus ist, dass viel zu viele Haushalte gar nicht realisieren, wofür sie das Geld bekommen. Die CO2-Steuer merkt man nur an der Tankstelle. Da braucht es mehr Populismus. Trump hat Covid-Schecks mit seiner Unterschrift an alle Haushalte geschickt. In Österreich hat nicht jeder höchstpersönlich von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler einen Brief bekommen, in dem stand, dass jetzt jeder dank der grünen Politik dieses Geld überwiesen bekommt.

In Österreich soll gespart werden. Wenn Erneuerbare und E-Autos sich rasant in die richtige Richtung entwickeln, muss man sie überhaupt noch fördern?

Wagner: Ja. Die fossilen Förderungen sind ja das wirkliche Problem. In Oberösterreich gab es Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 noch immer 1000 Euro Förderung für den Einbau einer Gasheizung. Die gibt es jetzt Gott sei Dank nicht mehr. Aber wir fördern insgesamt noch immer fossile Energieträger. Die Pendlerpauschale fördert ja zum Beispiel nicht das Radfahren. Glücklicherweise gibt es jetzt Bestrebungen, das zu ändern.

Ihr Wunsch ans Christkind oder zumindest an die nächste Regierung?

Wagner: Klimaschutz als Wirtschaftspolitik anzusehen. Es geht schließlich darum, die Wirtschaft für die Zukunft wettbewerbsfähig zu machen. Die technischen trends sind unumkehrbar. Für die Politik gilt es, sie anzukurbeln, etwa in die nötige Infrastruktur zu investieren. Jetzt. Amerika unter einem Präsidenten Trump bietet da für Europa auch enorme Chancen.

Gernot Wagner (*1980 in Amstetten) ist Klimaökonom an der Columbia Business School in New York und erforscht die Bandbreite zwischen individuellen Lebensentscheidungen und umstrittenen technologieschen Lösungen. Er ist der Autor mehrerer Bücher, darunter „Stadt Land Klima“ (2011, Brandstätter) und „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln?“ (2023, oekom).

Quelle: “Das sind die Trends, die Hoffnung machen” von Andreas Sator, Falter (50/2024).

Podcast: “Was macht Ihnen Mut, Herr Wagner?” mit Andreas Sator, Sonne & Stahl (13. Dezember 2024).

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