FAZ: „Wir sollten über Geoengineering sprechen“

Gespräch mit Marcus Theurer

Lässt sich das Klima nur retten, indem wir die Atmosphäre manipulieren? Der Ökonom Gernot Wagner hält eine Debatte darüber für unausweichlich.

Herr Wagner, Sie sind Klimaökonom an der New York University und haben gerade ein Buch zu einem extrem umstrittenen Thema ver­öffentlicht, dem sogenannten Geo­engineering. Worum geht es da?
Mein Thema ist vor allem das solare Geoengineering, sehr interessant und sehr riskant. Es zielt darauf ab, die Erde künstlich zu kühlen zu versuchen, indem kleine Partikel in den oberen Schichten der Atmosphäre versprüht werden, die einen Teil des einstrahlenden Sonnenlichts reflektieren. Dadurch soll die Temperatur in der Atmosphäre sinken.

Klingt ziemlich durchgeknallt.
Gut, das soll es auch. Aber das heißt nicht, wir können es ignorieren. 1991 brach der Vulkan Pinatubo auf den Phil­ippinen aus und schleuderte große Mengen an Schwefeldioxid in die Atmosphäre. Im Jahr darauf lag dadurch die Durchschnittstemperatur global ein halbes Grad niedriger. Bei dieser Form des solaren Geoengineering würde quasi ein solcher Vulkanausbruch imitiert. Spezialflugzeuge würden in Äquatornähe in etwa 20 Kilometern Höhe Hunderttausende von Tonnen kleinster Partikel versprühen. Man kann sich das auch als eine Art künstlichen Sonnenschirm für die Erde vorstellen.

Und was für Stoffe sollen versprüht werden?
Von den Vulkanausbrüchen wissen wir, dass Sulfate, Schwefelsäure, sich dafür eignen würden. Das nimmt man zumindest an. Erprobt wurde das noch nie.

Ein erstes Experiment war diesen Sommer in Schweden geplant, wurde aber nach Protesten abgesagt.
Ja, das wäre das erste Experiment seiner Art gewesen, eines in sehr kleinem Maßstab. Zunächst wäre Wasserdampf versprüht worden. Und selbst wenn später Schwefeldioxid zum Einsatz gekommen wäre, dann in einer geringeren Menge als jener, die ein Düsenflugzeug in einer Minute Flugzeit ausstößt.

Sie selbst bezeichnen das Geoengineering als verrückt und furchteinflößend. Warum befassen Sie sich trotzdem damit?
Weil ich der Meinung bin, dass wir zwangsläufig früher oder später eine Debatte über den Einsatz von solarem Geoengineering führen werden. Es geht nicht darum, ob es diese Debatte geben wird, sondern lediglich darum, wann und in welcher Form. Ich halte solares Geoengineering nicht für wünschenswert, aber ich fürchte, dieses Thema wird kommen.

Warum?
Es würde schnell Wirkung zeigen, binnen Wochen und Monaten, und die Kosten wären niedrig, global vielleicht im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr. Diese beiden Faktoren könnten diese Methode zu einer sehr verlockenden Waffe gegen den Klimawandel machen, trotz seiner Risiken. Solares Geoengineering wäre dabei ein Akt der Verzweiflung. Es wäre schnell, billig und riskant.

Sie weisen darauf hin, dass es in der Wissenschaft lange eine Art stillschweigendes Übereinkommen gab, Geoengineering nicht zu erforschen. Wie kam es dazu?
Der allererste Klimabericht für einen amerikanischen Präsidenten wurde 1965 für Lyndon B. Johnson verfasst. Und die einzige Maßnahme, welche die Experten damals vorschlugen, war tatsächlich Geoengineering. Die Meere sollten mit einem künstlichen weißen Schaum überzogen werden, damit sie mehr Sonnenlicht reflektieren. Den CO2-Ausstoß zu senken galt den Fachleuten damals dagegen als unmöglich. Man konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen entkoppelt werden können.

Und warum verschwand das Geoengineering dann in der Versenkung?
Weil die Forscher damals rasch festgestellt haben, dass man CO2 eben doch vermeiden kann, etwa durch erneuerbare Energien wie Windkraft und Fotovoltaik. Das Geoengineering wurde zu einer Art Tabuthema, es wurde – völlig zu Recht – als eine störende Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe gesehen, nämlich die CO2-Emissionen zu senken. Erst 2006 hat der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen mit einem sehr einflussreichen Aufsatz das Thema wieder belebt. Das war ein ziemlich großer Tabubruch. Crutzen hatte seinen Nobelpreis für die Erforschung des Ozonlochs erhalten.

Lassen Sie uns über die Risiken ­sprechen: Geoengineering könnte zu Dürren führen, zu Ernteeinbußen durch weniger Sonne, und es könnte die Ozonschicht schädigen. Ist es also nicht viel zu gefährlich?
Gefahren und Risiken gibt es tatsächlich, möglicherweise sehr große. Aber natürlich können wir solares Geoengineering nicht isoliert betrachten. Der Klimawandel hat natürlich auch erhebliche Auswirkungen, zum Beispiel auf Niederschläge und Ernten. Meines Erachtens wären das größte Risiko beim Geoengineering nicht diese physikalischen Auswirkungen, etwa auf die Ozonschicht.

Sondern?
Die größte Gefahr wäre, dass es als Ersatz für die zwingend notwendige, aber eben sehr mühsame und teils immer noch teure Reduktion der CO2-Emissionen angesehen würde. Wie schwierig diese ist, das haben wir ja gerade wieder bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow erlebt. Zu befürchten ist also, dass irgendwann jemand sagt: Super, jetzt brauchen wir uns nicht mehr so an­strengen, CO2 zu vermeiden, weil wir ja diese tolle neue Wunderwaffe des Geoengineering haben. „Moral Hazard“ nennen Ökonomen diese Gefahr. Es gibt überall auf der Welt noch starke Kräfte, die alles daransetzen, die Energiewende zu verzögern, weil sie weiterhin mit fossilen Brennstoffen Geld verdienen möchten. Denen droht das Geoengineering leider Argumente zu liefern.

Was lässt sich dagegen tun?
Wir müssen das Moral Hazard quasi umkehren. Ich gebe Ihnen ein historisches Beispiel: In den Neunzigerjahren gab es in der Umweltbewegung die ­These, man solle nicht thematisieren, wie sich die Menschheit an den Klimawandel anpassen könne, weil das die Bemühungen, ihn einzudämmen, schwäche. Der damalige amerikanische Vizepräsident Al Gore hat zum Beispiel sehr stark so argumentiert. Heute haben wir dazugelernt, und es gibt kaum noch eine Umweltgruppe, die nicht über die Anpassung an den Klimawandel spricht. Wenn diese nämlich wirklich realistisch ausgemalt wird, dann führt das auch dazu, dass sehr viel mehr Menschen die Bedrohung durch den Klimawandel ernst nehmen.

Und was bedeutet das auf das Geoengineering gewendet?
Dass wir das solare Geoengineering erforschen und darüber sprechen sollten. Denn wenn man es richtig kennt und beschreibt, dann wird meiner Meinung nach sehr deutlich werden, dass es eben kein Allheilmittel für das Klimaproblem sein kann – ebenso wenig übrigens wie die neuen Kleinatomkraftwerke, von denen jetzt gerade so viel die Rede ist. Allheilmittel gibt es eben nicht. Meine Hoffnung ist, dass die Leute dann sagen: Wow, wenn die Klimaforscher schon derart verzweifelt sind, dass sie sich ernsthaft mit derart verrückten Ideen befassen – dann muss die Lage wirklich ernst sein und wir sollten uns vielleicht doch mehr anstrengen, unsere CO2-Emissionen zu senken.

Gernot Wagner, 41, ist Professor an der New York University: Er ist Autor des Buches „Geoengineering – The Gamble“.

Interview zum Klimaschutz: „Wir sollten über Geoengineering sprechen“ von Marcus Theurer, Frankfurther Allgemeine Zeitung, 15. November 2021. Zuerst publiziert unter dem Titel: „Schnell, billig und riskant“, Frankfurther Allgemeine Sonntagszeitung, 14. November 2021.

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