Klimaschock Gespräch mit Helmut Kretzl
Warum werden in der Diskussion um die globale Erderwärmung vielfach wirtschaftliche Aspekte vernachlässigt? Ein Österreicher beschäftigt sich als Harvard-Lektor mit der Ökonomie und Ökologie des Klimawandels.
Gernot Wagner, geboren 1980 in Amstetten, hat zusammen mit Martin L. Weitzman den Bestseller “Klimaschock” geschrieben.
SN: In Ihrem Buch spekulieren Sie über die Gesamtkosten für den globalen Klimawandel. Mit welchem Ergebnis?
Wagner: Wir wissen, dass die globalen Schäden in die Billionen gehen werden und teilweise schon zu spüren sind. Aber der wichtigste Punkt ist, dass wir die tatsächlichen Kosten einfach nicht wissen und nicht wissen können. Wir berechnen die Chance einer endgültigen globalen Erwärmung von sechs Grad. Leicht veränderte Annahmen kommen auf 30 Prozent. Die tatsächliche Zahl kennt niemand. Diese Werte sind lediglich eine Illustration. Es ist die Ungewissheit, die so teuer ist.
SN: Wer müsste die Kosten tragen und wen trifft es am stärksten?
Wie so oft die Armen. Die Reichen kaufen sich eine zweite Klimaanlage. Aber die armen Menschen – die relativ Ärmsten in Österreich, den USA und weltweit – sind jene, die es am härtesten trifft.
SN: Warum werden die ökonomischen Aspekte in der Debatte oft ausgeblendet – oder trügt dieser Eindruck?
Das ist tatsächlich leider der Fall. Es hängt damit zusammen, dass Klima- und Umweltschutz oft mit Stereotypen verbunden wird: der radfahrende, müsliessende, Birkenstock-Schuh-tragende Vegetarier. Umwelt gegen Wirtschaft – das bringt uns nicht weiter, es ist ein Schritt zurück. Ohne die Wirtschaft mit ihren Zielkonflikten ernst zu nehmen geht gar nichts.
SN: Liegt es nicht auch daran, dass es eine komplexe Materie ist, die viele Disziplinen betrifft, Meteorologie, Politik, Ökologie und viele andere mehr?
Das macht es so verdammt schwierig. Klimawandel ist eines der komplexesten Themen überhaupt. Es sind tatsächlich einige Schritte vom Wirtschaftswachstum zu den Emissionen, zur CO2-Konzentration, zu steigenden Temperaturen und Klimaschäden bis hin zu monetären Auswirkungen. Jeder dieser Schritte hat Ungewissheiten. Aber komplex heißt übrigens nicht kompliziert.
SN: Ist diese vielfache Zuständigkeit der Grund, dass die Bekämpfung des Klimawandels kaum vorangeht?
Ja. Und auch, dass es so ziemlich das globale Problem schlechthin ist. Ein österreichisches Klimaministerium allein kann es nicht lösen. Auch kein amerikanisches. Es bedarf globaler Koordination, zumindest zwischen den Großen wie China, den USA, der EU oder Indien.
SN: Sie beschreiben relativ kostengünstige Maßnahmen, mit denen das Klima in Ordnung gebracht werden könnte. Welche Probleme gibt es dabei?
Etwa das “Freerider”-Problem. Das ist das klassische Klimaproblem: Keiner macht genug. Jeder möchte gratis mitfahren, während andere in Klimaschutz investieren. Und bei globalen Eingriffen ins Klima durch sogenanntes Geo-Engineering gibt es das umgekehrte Problem, dass es in vielerlei Hinsicht sogar zu billig sein könnte, das zu machen. Das nennen wir “Freedriver”-Problem oder “Gratischauffeur”.
SN: Wie realistisch ist eine globale Zustimmung zu Maßnahmen, wenn sich etwa die EU nicht einmal in der Flüchtlingsfrage einigen kann?
Tatsächlich wird es kaum je hundertprozentige Zustimmung geben. Deshalb sprechen wir von “Klima-Klubs”, wo sich einige wichtige Länder zusammenschließen, um Klimaschutz voranzutreiben.
SN: Was ist konkret zu tun?
Drei Elemente sind wichtig. Ein Preis für CO2, der zumindest bei 30 bis 40 Euro pro Tonne liegt, nicht wie jetzt bei unter zehn Euro. Zweitens ein technologischer Push in Sachen erneuerbarer Energie, Batterien und anderes mehr. Und mehr Forschung, auch mit Blick auf Geo-Engineering. So könnte man etwa durch die Freisetzung synthetischer Aerosole, die Sonnenlicht reflektieren, der Erwärmung entgegenwirken. Das funktioniert ähnlich wie das Tragen eines weißen T-Shirts im Sommer, es reflektiert Sonnenlicht und kühlt die Schichten darunter ab. Zugleich müssten wir aufhören, Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pumpen, und das vorhandene CO2 beseitigen.
SN: Was kann Otto Normalverbraucher tun, außer mit Stoff- statt mit Plastiksackerln einzukaufen?
Jeder sollte das tun, was er am besten kann. Also: Lehrer, unterrichtet! Studenten, studiert! Politiker, führt! Es kommt auf die politischen Impulse an, jeder Einzelne muss mitmachen. Aber Einzelaktionen allein werden das Problem nicht lösen. Wenn man glaubt, dass solche Einzelaktionen genug bewirken, werden wir insgesamt viel zu wenig tun.
SN: Was sagen Sie zu dem Standpunkt “die Natur wird es schon regeln”? Es gab ja immer wieder massive Klimaveränderungen.
Die Natur wird es tatsächlich regeln, für sich selbst. Das Universum gibt es seit 13,7 Milliarden Jahren. Um die Erde mache ich mir keine Sorgen, die wird es noch lang geben, wenn wir alle tot sind. Das Problem ist, dass sich die menschliche Zivilisation in den letzten 10.000 Jahren in einer vergleichsweise äußerst stabilen Klimaperiode entwickelt hat. Diese Periode der Stabilität verlassen wir gerade – und wir Menschen sind daran schuld. Das ist das wirkliche Klimaproblem.
Gernot Wagner (36) studierte an den US-Universitäten Harvard und Stanford Ökologie und Wirtschaft und arbeitet als Ökonom beim Environmental Defense Fund in New York. In Harvard lehrt er Klimapolitik.
Gespräch mit Helmut Kretzl, Salzburger Nachrichten, 8. September 2016.