Klimaschock Gespräch mit Michael Gruberbauer
Michael Guberbauer hat sich mit dem Ökonomen
Gernot Wagner getroffen, um über dessen Buch, den Klimawandel und die gegenwärtige Wirtschaftsordnung zu sprechen.
EIN NOBLES Kaffeehaus im Wiener Stadtpark ist ein seltsamer Ort, um über das größte Problem des Planeten zu plaudern. Es ist eine geschniegelte Scheinwelt; es gibt Kaffee und Leckereien aus aller Welt zu leicht überhöhten (aber gleichzeitig viel zu niedrigen) Preisen. Und wir sind nicht die einzigen, die hier an einem sonnigen Vormittag mitten im Grünen die beste aller Welten genießen.
Das größte Problem des Planeten – der Klimawandel – wächst zur selben Zeit zur globalen Katastrophe heran. Er ist nicht nur global, sondern auch langfristig, irreversibel und ungewiss. Diese Kombination von Eigenschaften ist es auch, die den Klimawandel eben zu einem einzigartigen Problem macht, meint der Experte, mit dem ich mich verabredet habe. Der sympathische Wissenschaftler Gernot Wagner ist gebürtiger Österreicher und hat in Harvard politische Ökonomie studiert. Er ist Feuer und Flamme für seine Thematik: die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels. Wagner ist Ökonom beim Environmental Defense Fund, Dozent an der Columbia University und Mitautor des Buches »Klimaschock – Die extremen wirtschaftlichen Konsequenzen des Klimawandels«, das 2015 von der Financial Times zu einem der 15 besten Wirtschaftsbücher des Jahres 2015 gekürt wurde und 2016 in deutscher Sprache erschienen ist.
Die Medien und der Klimaschock
Was bringt so jemanden dazu, einem linken Magazin die Möglichkeit für ein Interview zu geben? »Bei meiner ersten Medientour in Österreich hab ich am Vormittag die Krone getroffen, nach dem Mittagessen ein Interview mit Ö1 gehabt. Das waren die Tiefen und die Höhen in der österreichischen Medienlandschaft«, meint Wagner. »Das Faszinierende an diesem Thema, ob in Amerika oder Österreich: Es schneidet durch die politische Landschaft.« Eine Hälfte seines Buches handle von Statistiken und Wahrscheinlichkeiten, die zweite Hälfte von den Möglichkeiten und Problemen des Geo-Engineering. »Ist das links, ist das rechts?«, fragt er, während wir uns einen Kaffee bestellen, der wahrscheinlich aus Südamerika kommt. Als Ökonom, der sich mit Ökologie befasst, versucht Wagner, »das beste aus beiden Welten« zu holen.
Das ist sicher auch die zentrale Eigenschaft, die das Buch von Gernot Wagner und Martin L. Weizman auszeichnet. Die Autoren schaffen eine glasklare Präsentation des Problems, der wissenschaftlichen Fakten und der aus der Sicht der Ökonomie möglichen Lösungsvorschläge. Besonderes Augenmerk legen sie dabei auf die Beschreibung der »Ungewissheit« des Klimawandels. Das heißt wohlgemerkt nicht, dass es unsicher ist, ob es den Klimawandel überhaupt gibt. »Es gibt natürlich Leute am rechten Rand, die sagen: ›Wir haben es ja immer schon gewusst. Klimawandel gibt’s nicht‹, was natürlich vollkommener Schwachsinn ist«, meint er und lacht. Die Ungewissheit, die im Buch besprochen wird, ist weniger zum Lachen und betrifft die Konsequenzen der Erderwärmung und das Problem viel zu konservativer Klimamodelle.
Besonders wichtig ist Wagner, die sogenannten fat tails (»fette Schwänze«) zu erklären. Das sind jene Bereich am hinteren
Ende der Wahrscheinlichkeitskurven, welche zwar unwahrscheinliche aber auch katastrophale Zukunftsvarianten beschreiben. ExpertInnen schätzen es zurzeit als wenig wahrscheinlich ein, dass wir in einer Welt landen, die um sechs Grad Celsius wärmer ist als noch vor 250 Jahren. Die Tatsache, dass diese Wahrscheinlichkeit aber nicht null ist, und dass das auch für noch höhere Temperaturanstiege der Fall ist, führt jedoch zu »eine[r] zehnprozentigen Chance, dass die endgültigen Oberflächendurchschnittstemperaturen um mehr als 6 Grad ansteigen«, wie es im Buch heißt. Noch stärker ist der Effekt bei etwas niedrigeren Temperaturanstiegen, die aber noch immer verheerende Folgen hätten. Das ist der perfide Charakter der fat tails und ein Grund, warum Wagner und Weizman im Buch von Politik und Wirtschaft rasche Lösungen einfordern.
Der Preis des CO2
Wenn es um diese Lösungen geht, ist in »Klimaschock« von den Marktkräften die Rede, die – richtig reguliert – den Klimawandel verhindern könnten. Die Autoren schlagen zwei Varianten vor: entweder eine globale Kohlendioxidsteuer oder ein globaler Emissionshandel. Beides soll einer zukünftigen Katastrophe einen Preis geben, mit dem die Märkte dann arbeiten und diese verhindern können. Gleichzeitig wird im Buch auch klar, warum das so schwer zu realisieren wäre. Der richtige Preis einer Tonne CO2 ist umstritten. Die Ideologie, die Wirtschaftswachstum in monetären Maßstäben mit Wohlstand gleichsetzt, ist das Problem.
Das gesamte Gespräch mit Michael Gruberbauer in: Volksstimme, № 10 Oktober 2016.