Im Einfamilienhaus leben zu wollen, ist eine gesellschaftliche und psychologische Entscheidung – mit einer schlechten Klimabilanz. Ein radikales Umdenken ist notwendig.
Gernot Wagner ist Klimaökonom und Autor. Der gebürtige Österreicher lehrt heute nach Stationen in Harvard und Stanford an der New York University. Sein neues Buch “Stadt, Land, Klima. Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten” ist soeben im Brandstätter Verlag erschienen.
Schon wieder soll uns etwas verboten werden. Und zwar das, wonach wir seit Generationen streben: das eigene Haus, das Symbol schlechthin für ein Leben, in dem wir es für alle ersichtlich geschafft haben, der Traum, aus dem es dringend aufzuwachen gilt. Die Debatte über das Eigenheim, die der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter angestoßen hat, ist überfällig, denn es geht um nichts weniger als um die Zukunft unseres Planeten. Dabei sind die Emotionen, mit denen Deutschland nun über seine Einfamilienhaus-Pläne diskutiert, im ersten Moment verständlich: mehr Wohnfläche, mehr Glück, so lautet schließlich das Narrativ, mit dem wir aufgewachsen sind.
Nur: Es stimmt nicht. Mehr Quadratmeter bedeuten in erster Linie mehr Klimaschmutz und nicht zwingend, besser zu leben. Ich persönlich könnte der derzeitigen Einfamilienhaus-Debatte leicht gelassen zusehen. Einerseits wohne ich auf der anderen Seite des Atlantiks, in New York City, andererseits wohne ich auf 70 Quadratmetern – zu viert. Das so zu sagen, mich quasi zu bekennen, wirft meist gleich gewisse Fragen auf, oder belustigtes Mitleid. Denn unsere Wohnung mag zwar eine durchschnittlich große Stadtwohnung sein, aber gerade Familien wie unsere – Akademikerpaar, meine Frau ist Ärztin – leben in der Regel eben nicht so, wenn sie die Wahl haben.
Der Drang zu mehr ist verständlich. Die gesellschaftlichen Normen weisen in genau diese Richtung, die Werbung sowieso. Das eigene Auto bedeutet Freiheit, der Wintergarten Wohlstand. Wer es sich leisten kann, der leistet sich mehr. Wenn die Nachbarn ein Schwimmbad im Garten haben, dann wir eben auch. Und man kann ja nie wissen, ob das fünfte Zimmer nicht einmal doch für die lang geplante Bibliothek von Nutzen wäre. Derzeit ist es ganz handlich für die Corona-Heimarbeit oder zumindest als ungestörter Ort für das Sauerteigbrotbacken.
Eine Entscheidung für die Vorstadt, nicht das Land
In Deutschland hat das neue Ein- oder Zweifamilienhaus schon durchschnittlich 152 Quadratmeter, in den USA sind es über 200 Quadratmeter für die vierköpfige Familie, Tendenz steigend. Dass dieser Traum von mehr Quadratmetern, am besten im Grünen, mit Garten, in Konflikt mit Natur- und Klimaschutzzielen steht, ist klar. Denn wirklich auf dem Land leben die wenigsten, je nach Zählweise sind es zwei bis zehn Prozent der Weltbevölkerung. Das ist nicht viel – und das kann und soll es auch nicht sein: Land, Natur, ist vor allem definiert durch die menschliche Abwesenheit, die Weite, die Unberührtheit. Wer hingegen raus aus der Stadt zieht, ins Häuschen im Grünen, der entscheidet sich in den allermeisten Fällen nicht fürs Landleben, sondern für die Vorstadt, den Vorort, die Satellitenstadt, die Schlafstadt, die Stadtrandsiedlung oder was auch immer alles den Speckgürtel um Städte ausmacht. In den USA leben bereits rund 50 Prozent der Menschen in Suburbia. Auch in Deutschland liegen die Landkreise, die am schnellsten wachsen, rund um Städte wie Frankfurt am Main, München oder Stuttgart.
Genau dort aber, in den Speckgürteln, Vororten, suburbs, entstehen doppelt so viele CO2-Emissionen wie in Städten oder auf dem Land. Die ultimative Antwort auf die Klimakrise ist daher klar. Sie liegt in der Stadt. Die Logik dahinter ist einfach: Die entscheidenden Faktoren heißen Reichtum und Dichte. Reichtum bedeutet mehr CO2-Emissionen, Dichte weniger. Das Land ist relativ arm und dünn besiedelt, Städte relativ reich und dicht. Vororte liegen dazwischen. Sie haben zwar relativen Reichtum, aber kaum Dichte. Das bedeutet: größere Häuser, mehr Autos, mehr materieller Konsum – und daher auch deutlich mehr CO2-Emissionen.
Das Eigenleben des Speckgürtels
Dabei kann dieser Speckgürtel auch ein Eigenleben annehmen und alle Dimensionen sprengen, wie sich in den USA beobachten lässt. New York City beispielsweise hat acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, das Ballungszentrum New York, auf vier Bundesstaaten verteilt, bereits 20 Millionen. Weniger als 900.000 US-Amerikanerinnen und -Amerikaner wohnen in der Stadt San Francisco selbst. In der Bay Area rundum wohnen mittlerweile fast zehn Millionen, die überwiegende Mehrzahl in Einfamilienhäusern in immer weitläufigeren suburbs. Dabei sind sowohl New York City und San Francisco selbst zumindest Städte, die auch ein Europäer als solche identifizieren kann. Houston in Texas, gilt als Warnsignal dessen, was passieren könnte, wenn der “freie” Markt regiert und alles seinen ungezügelten Lauf nimmt, samt teils 26-spuriger Hauptverkehrsader, die Vorstädterinnen zur ansonsten kaum bewohnten Innenstadt in die Arbeit bringt.
Um die weitere Ausbreitung dieser klimaschädlichen suburbanen Landstriche einzudämmen, ist Stadt-, Kommunal-, Regional- und Verkehrsplanung notwendig. So viel ist klar. Die von Hofreiter angestoßene Diskussion über Einfamilienhäuser aus dem Kontext zu ziehen und #Verbotspartei eine Woche lang zum Trend in sozialen Netzwerken zu machen, ist einfach. Dass auch manche CDU-Vertreter für Hofreiters Aussagen Verständnis zeigen, deutet aber darauf hin, dass das Bewusstsein für die Problematik insgesamt wächst. Um Stadtleben, und damit ein klimafreundlicheres Leben, attraktiv zu machen, und die Natur den Ort sein zu lassen, den wir uns ja wünschen, wenn wir am Wochenende den Ausflug ins Grüne machen, braucht es vor allem ein Ende der Unsummen an direkten und indirekten Subventionen und Steueranreizen, die den Traum vom Einfamilienhaus beflügeln. Dazu zählen Gratis- und Billig-Parkplätze in der Stadt und subventionierter Baugrund ebenso wie unbesteuerte CO2-Emissionen.
Die zentrale Frage ist, wie sich diese Planung und die hitzigen Diskussionen, die daraus entstehen, mit persönlichen Präferenzen vereinbaren lassen. Dabei geht es vor allem um gesellschaftliche Normen, die wir überdenken müssen.
Entfremdung im goldenen Käfig
Ich bin in einem Haus mit Garten in einer kleinen Vorstadtsiedlung im niederösterreichischen Amstetten in den Achtzigerjahren aufgewachsen. Unsere damals vierköpfige Familie lebte auf 78 Quadratmetern. Gefehlt hat mir nichts. Mir fehlt auch heute auf 70 Quadratmetern nichts, ganz im Gegenteil. Nach zwanzig Jahren Ehe und nicht weniger als acht Wohnungen, manche davon kleiner, zwei fast doppelt so groß, haben wir uns ganz bewusst für diese 70 Quadratmeter entschieden. Sowohl Lage als auch Familie haben dabei eine große Rolle gespielt. Zum Krankenhaus meiner Frau sind es zehn Minuten per Rad. Mein Büro ist weniger als fünf Minuten zu Fuß entfernt. Dadurch haben wir mehr Zeit für die Familie, viel mehr als es je in einem Vorort möglich wäre.
Unsere Kinder haben kein eigenes Zimmer. Privatsphäre bedeutet daher oft, ein Paar Kopfhörer aufzusetzen oder sich in ein gutes Buch zu vertiefen. Das öffentlich sagen zu können, erachte ich als Luxus. Denn wie viel Wohnfläche man zur Verfügung hat, ist – ob bewusst oder unbewusst – ein äußerst öffentliches Signal, definiert von Erwartungen, der Überfüllung von Erwartungen, dem Vergleich mit Nachbarn, Freundinnen und Elternhaus, nicht zuletzt auch von Facebook- und Instagram-Likes.
Social-Media-Zombies gibt es natürlich auch in der Stadt. Im Vororthaus ist der Rückzug und die Entfremdung im eigenen goldenen Käfig aber viel einfacher – sowohl von der eigenen Familie als auch der Welt. Dem Kochen oder Aufräumen zu entkommen, geht ohne eigenes Zimmer in der Stadtwohnung nicht. Dem anderen zu entweichen ist inmitten der Stadt um einiges schwerer. Von meinem Schreibtisch blicke ich sowohl auf ein katholisches Zentrum als auch auf die örtliche Abtreibungsklinik. Beide Gebäude teilen sich eine Hauswand: Direkter geht Diversität kaum.
Während die Anzahl der Quadratmeter ein äußerst öffentliches Signal ist, sind die Schattenseiten des Einfamilienhauses meist etwas ganz Persönliches. Das beginnt bei der Beschreibung des Wohnortes. Viele jener, die eigentlich im fernen Vorort wohnen, würden sich oft immer noch stolz als “Berliner”, “Hamburger” oder “Münchner” beschreiben, obwohl der eigentlich “nur 45 Minuten” von der Stadt entfernt liegt.
Das Potenzial der Stadt nutzen
Dieser tägliche Weg vom Einfamilienhaus im Vorort zurück zur Arbeit in der Stadt ist ebenso äußerst persönlich. Dabei gilt längere Pendelzeit als persönliche Aufopferung. Der Familienvater nimmt einen längeren Arbeitsweg in die Stadt in Kauf, um ein paar Quadratmeter mehr für die Familie zu ergattern. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der auch seine tägliche, fünfundvierzigminütige Pendelzeit konsequent auf Instagram live für Freunde und Bekannte festhält. Diese noble Geste für das zweite Badezimmer im Vororthaus ist vielmehr eine rein private. Es zeigen also alle Faktoren, psychologisch, ökonomisch und gesellschaftlich hin zum Drang zu mehr Quadratmetern, zu immer mehr Zersiedlung.
Klimaschutz entsteht hingegen in der Stadt. Das ist durch Dichte und Effizienz bereits jetzt der Fall. Doch es geht vor allem um das Potenzial zu mehr. Eine strategisch klug eingerichtet Buslinie, ein Radweg, eine umgestaltete Straße können die CO2-Emissionen fast über Nacht reduzieren, ohne dabei merkbare Abstriche machen zu müssen. Die alltägliche Effizienz der Stadt erlaubt zugleich eine viel höhere Wertschöpfung sowohl pro Person, pro Quadratmeter und pro Tonne CO2. Es geht also nicht um Stillstand, Verzicht, Rückschritt, sondern darum, das Potenzial der Stadt für unsere Zukunft besser zu nutzen.
Was in der Diskussion häufig untergeht: Auch ein erfülltes Leben entsteht in der Stadt. Hier ist ein Familienalltag möglich, der sich im 15-Minuten-Radius zwischen Spielplatz und Arbeitsplatz, Lieblingsitaliener und Bauernmarkt, Bücherei, Taekwondo-Studio, Park und Kino abspielt, der also reichhaltig und effizient ist, erfüllend und CO2-arm.
Als Antwort auf die Klimakrise können wir in unserem Privatleben das Fahrrad statt das Auto nehmen, möglichst verpackungsarm einkaufen, vegetarisch essen. Das alles ist richtig und spart CO2-Emissionen ein. Für das globale Klima macht es aber kaum einen Unterschied, die Einsparungen sind viel zu gering. Den mit Abstand größten Unterschied zwischen Klimaschmutz und Klimaschutz auf individueller Ebene macht unser Wohnort und die Anzahl der Quadratmeter aus, vor allem die Wahl zwischen Stadtwohnung und Einfamilienhaus im Vorort. Dabei ist klar, dass nur die wirkliche Stadt eben diese Optimierung der persönlichen Quadratmeter zulässt, ohne auch Abstriche in Sachen Lebensqualität zu verlangen. Und ja, das gilt erst einmal für die, die es sich leisten können, die eine Wahl haben, in welchen vier Wänden sie wohnen. Um ein gutes Leben in der Stadt für alle zu ermöglichen, braucht es also politische Maßnahmen – und ein radikales Umdenken.
Wir müssen realisieren, dass Stadt und Land den Schlüssel zur Zukunft darstellen: die Stadt als vornehmlicher Wohnort für den Menschen, das Land als vor allem der Natur vorbehaltener Bereich – und damit das wirkliche Land. Klimaschutz hängt von der Balance zwischen Stadt und Land ab. Das Eigenheim in der Vorortsiedlung ist der Ort, der diese Balance immer weiter aus dem Gleichgewicht bringt.
Erschienen mit dem Titel “Zurück in die Stadt!” am 26. Februar 2021 auf ZEIT.de.