Tages-Anzeiger: «Trump kann die Energie­wende verzögern, aber nicht aufhalten»

Interview mit Simon Schmid

Der US-Präsident setzt auf fossile Energien und sägt am Klimaschutz. Damit führe er Amerika ins wirtschaftliche Abseits, sagt Gernot Wagner von der Columbia University.

Er lebt mit seiner Frau und den zwei Kindern in New York auf 70 Quadratmetern, besitzt kein Auto und heizt ohne fossile Energie: Gernot Wagners Lebensstil ist der pure Gegenentwurf zu Donald Trumps umweltschädlicher Politik.

Doch der US-Präsident wäre gut beraten, sich die Einsichten des Klimaökonomen zu Herzen zu nehmen. Denn mit dem Verzicht auf grüne Technologien würden die USA im 21. Jahrhundert einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verspielen, sagt der 44-Jährige, der in Österreich aufgewachsen ist und in New York an der Columbia University forscht.

Herr Wagner, was schätzen Sie: Wird die Welt das Netto-null-Ziel erreichen?

Die Frage lautet nicht ob, sondern wann. Selbst Ölländer wie Saudiarabien haben inzwischen Netto-null-Ziele. Dort soll die Wirtschaft 2060 klimaneutral funktionieren, also nur zehn Jahre später als in Europa. An der Dekarbonisierung führt kein Weg vorbei.

Aber Donald Trump hat gerade die Pariser Klimakonvention gekündigt.

Das ist tatsächlich ein Rückschritt für den Klimaschutz. Aber noch direkter schadet Trump damit der Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft.

Warum?

Grüne Energien werden im 21. Jahrhundert ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. China hat das erkannt. Firmen wie LONGi, die weltweit führend in der Solarindustrie sind, investieren jetzt stark in grünen Wasserstoff. Davon wird das Land extrem profitieren.

Verlieren die USA in der grünen Wirtschaft den Anschluss?

Joe Bidens Klimapolitik mit dem wegweisenden Inflation Reduction Act wäre eine grosse Chance gewesen, die Lücke zu schliessen. Er bot Firmen finanzielle Anreize, um in klimafreundliche Technologien zu investieren. Leider hat Trump bereits einiges davon gestoppt. Und sein neues Haushaltsgesetz droht die letzten Reste von Bidens Klimapolitik zu eliminieren. Das ist ein grosser Rückschritt.

Wie erklärt sich seine Politik?

Er hat einen Deal mit den Öl- und Gasfirmen gemacht: Gebt mir Geld für den Wahlkampf, und ich sorge als Präsident dafür, dass ihr ein Vielfaches davon an Profit machen könnt. So bekämpft er jetzt die Energiewende und will die USA in eine Art Petrostaat verwandeln.

Kann Trump die Energiewende aufhalten?

Er kann sie verzögern, nicht aufhalten.

Warum nicht?

Weil grüne Technologien aus Kostengründen überlegen sind. Batterien, Solarzellen, Induktionsherde, Wärmepumpen: All das wird laufend günstiger und wird sich am Ende auch am Markt durchsetzen.

Braucht es dazu permanente Fördermittel?

Subventionen sind im Anfangsstadium sehr nützlich, damit klimaschonende Technologien erfunden und bis zur Marktreife vorangetrieben werden können. China hat vorgemacht, wie das geht. Vor fünfzehn Jahren begann das Land, die Solarindustrie stark zu fördern. Jetzt erntet es die Früchte dieser Strategie. China dominiert vom Sand bis zu den Modulen die gesamte Wertschöpfungskette. Und es kann sehr billig Solarenergie produzieren.

Machen Diktaturen die bessere Klimapolitik als Demokratien?

Nicht unbedingt. Die breite Bevölkerung in Amerika ist gegenüber dem Klimaschutz viel aufgeschlossener als die Abgeordneten im Kongress. Diese sind stark von der fossilen Lobby beeinflusst. Das ist in Amerika nicht anders als in vielen anderen Ländern. Und es zeigt, warum wirkliche Demokratie wichtig fürs Klima ist – Demokratie für die Menschen, nicht für die Milliardäre. Auch Rechtsstaatlichkeit ist für den Klimaschutz essenziell. Leider untergräbt Trump all diese Dinge. Langfristige Investitionssicherheit fällt kurzfristigen Profiten zum Opfer.

Kann niemand Trump auf seinem Anti-Klima-Kreuzzug stoppen?

Es gibt durchaus Gegenbewegungen auf Ebene der Bundesstaaten und der Städte, die von Demokraten regiert werden. Zum Beispiel hat der Staat New York beschlossen, keine Gasanschlüsse mehr für neue Gebäude zu bauen. Seit Januar gibt es in New York City auch eine Autogebühr, die den Verkehr drosselt und Pendler zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr bewegt. Solche lokalen Initiativen sind wichtig für den Klimaschutz.

Und was ist mit den republikanischen Gliedstaaten?

Selbst dort geht die Entwicklung teils weg vom fossilen Sektor. Zum Beispiel produziert das konservative Texas inzwischen mehr Solarenergie als das progressive Kalifornien, weil die Produktionsbedingungen dafür sehr günstig sind und es sich finanziell einfach lohnt.

Europa hat weltweit die ambitionierteste Klimapolitik. Es hat einen Emissionshandel eingeführt und wird CO₂-intensive Importe besteuern. Schadet das der Wirtschaft?

In Schweden baut Stegra gerade das weltweit erste, grosse Niedrig-CO₂-Stahlwerk. Diese Milliardeninvestition verdanken wir teilweise der ambitionierten EU-Klimapolitik. Der andere Faktor ist billiger Strom im Norden Schwedens. Die hohen Energiepreise in Ländern wie Deutschland sind also schon ein Bremsfaktor. Grüner Strom müsste günstiger sein.

Braucht es in Europa neue Kernkraftwerke?

Wahrscheinlich ja. Es ist von Vorteil, wenn im Netz ein gewisser Anteil von Grundlaststrom vorhanden ist, der unabhängig von der Wind- und Wetterlage zur Verfügung steht. Die Kernenergie kann einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Wenn Klimaschutz ein volkswirtschaftlicher Gewinn ist: Warum ist es so schwer, diese Idee politisch zu übermitteln?

Es geht um Profite und um Macht. Dabei verweise ich oft auf eine Grafik, die vom Weltklimarat stammen könnte. Tatsächlich kommt sie vom Vermögensverwalter Blackrock und zeigt, wie die Gewinne und Verluste im Zuge der Energiewende verteilt sind.

Was lesen Sie aus dieser Grafik?

Dass der Nettonutzen der Energiewende fürs globale Bruttoinlandprodukt riesig ist! Das Problem sind die roten Balken: Das ist das Geschäft, das den fossilen Firmen entgeht. Genau dafür macht sich etwa Trump stark.

Wie bricht man die Macht der roten Balken?

Mit einer Klimapolitik, die grünen Unternehmen hilft, zu wachsen und Gewinne zu erzielen. Eine Klimapolitik, die mehr Unternehmen wie Tesla hervorbringt, wenn man so will.

Es braucht mehr Milliardäre wie Elon Musk?

Was auch immer man von Musk als Person und von seiner politischen Aktivität halten mag: Die Tatsache, dass man mit klimafreundlichen Produkten reich werden kann, ist im Grunde fantastisch. Das inspiriert Nachahmer und löst Investitionen aus.

In der Klimaökonomie herrschte lange das Denken vor: Man muss nur einen Preis auf den CO₂-Ausstoss erheben, und der Rest erledigt sich von selbst. Gilt das nicht mehr?

CO₂-Preise sind wichtig. Sie adressieren die negativen Externalitäten des CO₂-Ausstosses. Aber sie sind nur ein Pfeiler einer guten Klimapolitik. Forschung und Entwicklung in neue, grüne Technologien bringen auch positive Externalitäten mit sich. Deshalb braucht es im Anfangsstadium zusätzlich zu CO₂-Steuern auch Subventionen für alternative Technologien. Ein solches Vorgehen macht auch politisch Sinn, weil eine Klimapolitik, die den Haushalten anfänglich nur höhere Kosten bringt, nicht tragbar ist.

Die Schweizer Firma Climeworks will CO₂ aus der Luft entfernen, hat aber finanziell zu kämpfen. Muss man auch solche Projekte staatlich unterstützen?

Wenn wir das Klima stabilisieren wollen, dann kommen wir über kurz oder lang nicht darum herum, auch grössere Mengen von Kohlenstoff aus der Luft abzuscheiden und im Boden zu speichern. Sogenannte Carbon-Capture-Technologien sind in dieser Hinsicht essenziell. Man braucht sie für die letzte Meile in der Dekarbonisierung, weil es sehr schwierig wird, in Branchen wie der Stahl- oder Zementherstellung ganz ohne CO₂-Ausstoss auszukommen. Trotzdem ist die Förderung von Carbon Capture nicht unproblematisch.

Warum?

Die Vorstösse dafür kommen oft aus der fossilen Ecke. Der Ölkonzern Occidental Petroleum ist zum Beispiel einer der grössten Investoren von Carbon Engineering, einer Konkurrentin von Climeworks. Diese Seite betrachtet Carbon Capture als Freipass, um weiterhin Öl und Gas zu fördern und zu verbrennen. Davon muss man sich distanzieren.

Um wie viel Grad wird sich die Welt am Ende erwärmen?

Momentan steuern wir auf eine Erderwärmung von ungefähr 2,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu. Das wäre katastrophal. Schon heute verursacht die Erderwärmung enorme Kosten, wie sich etwa anhand der Waldbrände, Überschwemmungen, Bergstürze und anderer Extremereignisse zeigt. Und wir haben noch nicht mal ganz 1,5 Grad Erwärmung überschritten. Ein jedes Zehntelgrad zählt!

Müsste man die Erderwärmung auf 0 Grad zurückbringen?

Wenn man ehrlich ist: ja.

Dafür müsste man mit der entsprechenden Klimapolitik die CO₂-Emissionen von 150 Jahren rückgängig machen.

Richtig. Und dafür braucht es am Ende auch Carbon Capture. Genau deshalb wird die Diskussion über diese Technologie in den kommenden Jahren nur noch wichtiger.

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